Die Entstehung der »Genauen Observanz«

Diese Einheit wurde erstellt von S. Marie-Paule, Bernardinerin von Peruwelz

 






















 

Einführung                                                               

            Der Versuch, sich dem Auftauchen der Genauen Observanz zu nähern, ist für den Historiker eine schwierige Aufgabe, denn es fehlen noch viele Elemente bezüglich der Personen und der inneren wie äußeren Einflüsse auf den Orden. Zweifellos bleibt auch noch eine beträchtliche Anzahl von Dokumenten zu entdecken.

            Dennoch lohnt sich diese Arbeit. Sie erlaubt uns, in der Kenntnis – und somit im Verstehen – der verschiedenen zisterziensischen Empfindlichkeiten voranzukommen, und schenkt uns zugleich die Gnade, mit dem Finger das Werk des Geistes im Schoß unserer ganzen Menschlichkeit zu berühren, in unseren Herzen, die zum Besten wie zum Schlimmsten fähig sind. Zum Besten: eine hochherzige Antwort zu geben auf den empfangenen Ruf, ein aufrichtiges Verlangen, den gegebenen Versprechen treu zu bleiben, und ein entschlossener Wille zur Umkehr. Zum „Schlimmsten“: Interessen nachzujagen, die überhaupt nicht mehr die des Gottesreiches sind, die Versuchung, Macht auszuüben (selbst wenn sie spirituell ist), sowie das ganze Spiel der weltlichen und politischen Einflußnahme…

            Bei dieser Periode unserer Geschichte zu verweilen, ist auch eine Quelle der Hoffnung: die ungeschliffenen Steine, die wir sind, kann Gott immer noch zu Elementen der Schönheit für seine Kirche im Dienste des Reiches Gottes machen.

            Um pädagogische Klarheit bemüht, haben wir uns, im Gegensatz zu bestimmten Autoren, dazu entschlossen, einzig die Bezeichnung „Genaue Observanz“ und nicht „Strenge Observanz“ zu verwenden, um eine Verwechslung mit dem zu vermeiden, was heute rechtlich unter diesem Namen besteht.

1. Eine Kirche, die sich reformiert, inmitten einer Welt im Wandel

            Die Entstehung der Genauen Observanz wird gewöhnlich um 1600 angesetzt. Dennoch muss unterstrichen werden, dass es sich nicht um einen spontanen Beginn handelt: vielmehr ist diese Bewegung eine Frucht dessen, was im 16. Jahrhundert brodelte. Es ist daher nützlich, sie in ihren geschichtlichen Rahmen zurückzuversetzen.

A) Eine Welt im Wandel

            Wir stehen am Morgen der großen Entdeckungen (Vasco da Gama, Christoph Columbus, Pedro Alvarès Cabral, Magellan), und das 16. Jh. erlebt die Errichtung der überseeischen Reiche: der Horizont Europas weitet sich. Es ist auch das Jahrhundert der Entstehung der modernen Nationen, die entschieden von den Mächten der Vergangenheit unabhängig sein wollen, nämlich vom Papst und vom Deutschen Kaiser.

            Die italienische Renaissance erstrahlt allmählich über ganz Europa, die Künste, die Wissenschaften und besonders die antike Literatur rufen ein lebhaftes Interesse hervor, das humanistische Denken nimmt Gestalt an (Machiavelli, Thomas Morus, Erasmus von Rotterdam), der Buchdruck erlaubt eine viel breitere und schnellere Verbreitung des Geschriebenen; das alles bringt eine neue Kultur hervor, eine neue Sicht des Lebens, der Welt, des Menschen.

            Dennoch bleibt im Herzen des Menschen dieser Zeit eine tiefe Angst: die großen Unglücke des vorausgehenden Jahrhunderts sind noch in der Erinnerung aller, wie die schwarze Pest, der Hundertjährige Krieg, das große Schisma und selbst die Häresien, die wieder aufgetaucht sind. Die darauf folgende Verwüstung Europas, der allgegenwärtige Tod, der Mangel an sicheren Führern haben die wesentlichen Fragen gestellt, die Fragen nach dem Leben, dem Tod, dem Jenseits. In dieser Zeit führt die Kirche, das Papsttum ein reiches weltliches Leben… Ein Wunsch nach Reform taucht auf, befruchtet durch die Arbeiten gewisser Humanisten, die sich über die Originaltexte der Heiligen Schrift beugen und diese veröffentlichen.

            Aufrufe zu einer Reform der Kirche erheben sich von überall her. 1512 erarbeitet das Fünfte Laterankonzil sogar ein ganzes Programm, das ohne Folgen bleiben wird. Es hat wenigstens das Verdienst, die Notwendigkeit der Sache erkannt zu haben. Es erheben sich Männer, die vom Christus des Evangeliums leidenschaftlich ergriffen sind: Luther, Zwingli, Calvin… die, ohne es zu Beginn ausdrücklich zu wollen, eine Bewegung auslösen, die zum Bruch mit der katholischen Kirche führt.

B) Eine Kirche in der Reform:

            Die katholische Reformbewegung hat das Konzil von Trient (1545-1563) nicht abgewartet; die Orden rührten sich schon früher:

Die Dominikaner unter dem Stab Katharinas von Siena und Raimunds von Capua,

Die Franziskaner, seit 1388 im Konvent von Mirabeau,

später in der Nachfolge des Bruder Olivier Maillard im 15. Jh.

und des Franz von Paula (1436-1507), der die Minderbrüder gründet.

Die Benediktiner in Italien.

Der Karmel in Spanien mit Theresia von Avila (1515-1582).

Die Augustiner…

            Die Laien sind ebenfalls betroffen: sie folgen einer Bewegung, die Ende des 14. Jh. in den Niederlanden entstand: dem „frommen Leben“ (Devotio moderna). Sie läßt die Christen ein anspruchsvolles Leben inmitten der Welt führen, um diese so von innen heraus fruchtbar zu machen, auf ihrem eigenen Grund und Boden. Auch die neuen Gründungen darf man nicht vergessen: die Oratorianer, die Theatiner, die Jesuiten…

            Das ist der Kontext, in dem das Konzil von Trient zusammentrat.

 

2. Das Konzil von Trient und der Zisterzienserorden:

A) Der „Niedergang“ des Ordens:

            Das Wort „Reform“ vermittelt uns die Vorstellung, daß eine Lockerung der Disziplin, Missbräuche und Fehler herrschten und daher ein Lebensstil, der im Verhältnis zum Ursprung „dekadent“, „heruntergekommen“ gewesen sei, mit dem Risiko des Ruins, des Untergangs, gegen den man einschreiten musste, und zwar unerbittlich.

            Wenn man die „Reform“ der Genauen Observanz recht verstehen will, muss man von einer allzu vereinfachenden Sicht Abstand nehmen und sich zugleich daran erinnern, dass zwei unterschiedliche Wahrnehmungen, zwei verschiedene Weisen, die unvermeidliche Anpassung an die Zeitumstände in Angriff zu nehmen, eine „Reform“ hervorbringen können, ohne dass man deshalb die spirituelle Kraft der einen oder anderen Seite in Zweifel ziehen darf: man kann hier an Molesme und Cîteaux erinnern.

Können wir uns vom Zustand des Ordens zur Zeit des Konzils von Trient eine Vorstellung machen?

            Wenn wir glauben, was die Pariser Artikel (1494) sagen, dann scheint es, daß sich „in mehreren Klöstern des Ordens die ursprüngliche Observanz des religiösen Lebens bis jetzt erhalten hat … Andere Abteien sind, obgleich sie zu einem gegebenen Zeitpunkt abgewichen waren, … zur anfänglichen Reinheit des Ordenslebens zurückgekehrt… Es gibt aber auch andere…, die einer Reform bedürfen.“

            Man muss sich also um jeden Preis davor hüten, eine besondere Situation zu verallgemeinern, die ganz von der Verwurzelung am Ort und seiner Geschichte abhängig ist: von Kriegen und Plünderungen usw., aber auch von der Verfassung der Abtei und von den Menschen, welche die Gemeinschaft bilden!

            Dennoch ist es möglich, einige Punkte aufzuführen, die regelmäßig in den Visitationsurkunden oder in den Statuten der Generalkapitel wiederkehren, Missbräuche, die durch menschliche Schwäche bedingt, aber auch sehr oft verstärkt sind durch äußere Umstände, deren Opfer am häufigsten  die Mönche sind:

           

Die Kommende: sie ist zweifellos das schwerste Unglück der Klöster. Der Kommendatarabt, der nicht immer ein Ordensmann ist, denkt sehr häufig nur an den Gewinn, den er aus dem als Pfründe erhaltenen Kloster ziehen kann.

Folgen :

Die Ordensleute wissen manchmal kaum, wovon sie sich ernähren sollen.

Der Kommendatarabt schränkt die Zahl der Novizen ein, um seinen persönlichen Anteil zu steigern, was konkret führt zu:

Überschreitungen des Armutsgelübdes: jeder kümmert sich selbst um Ernährung und Kleidung,

und folglich zu einer Schwächung der Mönche bezüglich Geist und Praxis des gemeinsamen Lebens:

- Die Mönche fangen an, ihr Kloster zu häufig zu verlassen.

- Weil die Gelder fehlen, zerfallen die Gebäude mangels ernsthaften Unterhalts.

- Das geistliche Leben lockert sich: es ist nicht leicht, unter diesen Bedingungen auszuhalten.

- Die Kriege und besonders die wüsten Zerstörungen in den Ländern der Reformation lassen in Ungarn, in der Schweiz, in den Skandinavischen Ländern und im England Heinrichs VIII. alle Klöster verschwinden. Diese Liste wird sich während der Religionskriege in Frankreich (1562-1598) noch verlängern. Es ist ein großes Elend, das in den Klöstern herrscht, die in die Auseinandersetzungen hineingezogen werden oder auch nur den einfachen Durchzug von Truppen erleiden. Die Kriege haben gleichzeitig auch noch eine andere Wirkung: es ist unmöglich, regelmäßig zusammenzukommen und eine genügende Anzahl von Äbten auf dem Generalkapitel zu versammeln: Dadurch entsteht ein Leerraum in der Leitung des Ordens und damit auch in der konkret gelebten Ordensdisziplin in den Klöstern.

- Manche Ordensmitglieder haben keine wirkliche Berufung: nach und nach hatte sich die Gewohnheit eingeschlichen, den jüngeren Nachwuchs der Familien in einem Kloster unterzubringen, um das Familienerbe nicht aufteilen zu müssen. Es ist klar, dass manche von ihnen keinerlei mönchische Berufung hatten und dass ihre Anwesenheit im Kloster nur zu einer gewissen Lockerung der starken Disziplin führen konnte. Als Folge davon verliert das innere Leben der Mönche seine Würze und wird schal. Ganz abgesehen davon, dass sie auch den Frieden der Gemeinschaft störten durch die Prozesse, die sie anstrengten mit allen, die es wagten, die Lebensweise des Klosters und ihren eigenen Lebensstil in Frage zu stellen.

B) Anwendung der Dekrete des Konzils von Trient im Orden:

            Am 4. Dezember 1563, dem Schlusstag des Konzils, wurde das „Dekret für die Regularen und die Nonnen“ feierlich verkündet. Darin steht folgendes: „Vor allem sollen sie treu alles beobachten, was eigens zur Vollkommenheit ihrer Ordensberufung gehört, die Gelübde des Gehorsams, der Armut, der Keuschheit und alle anderen Gelübde und Vorschriften, die bestimmten Regeln und bestimmten  Orden eigen sind und die ihre jeweilige Wesensart und die Wahrung des gemeinsamen Lebens, der Ernährung und der Kleidung betreffen. Die Oberen sollen ihre ganze Sorgfalt und Liebe darauf verwenden, dass man sich in Nichts von all dem entferne, in dem Wissen, dass es nicht in ihrer Macht steht, etwas zu lockern, was es auch immer sei, das zum Wesentlichen des regularen Lebens gehört“.

           

In dieser Sitzung waren drei Zisterzienser anwesend: Dom Louis de Baissey, Abt von Cîteaux, Dom Hieronymus Souchier, damals noch Abt von Clairvaux, der Dom Louis auf dem Stuhl von Cîteaux folgen wird, und Nikolaus I. Boucherat, der später nach Dom Hieronymus Abt von Cîteaux werden wird. Das zeigt uns, in welch hohem Maß, nämlich von 1560 bis 1583, (und man kann sogar sagen, bis zum Jahr 1604, weil Dom Edmund de la Croix, der Nachfolger von Dom Nikolaus, damals Sekretär von Dom Hieronymus war), also über mehr als vierzig Jahre (von 1560 bis 1604) die Oberen des Ordens Mönche waren, die vom Geist des Konzils von Trient durchdrungen waren und es verwirklichen wollten.

            Diese Verwirklichung geschieht durch die Visitation der Klöster, die entweder durch den Abt von Cîteaux selbst oder durch den Generalprokurator durchgeführt wurden, oder auch durch die Provinzialvikare, die man im Hinblick auf die wirren Zeiten in jenen Gegenden eingesetzt hatte, die für die gewöhnlichen Visitatoren schwer zugänglich waren.

            Einige Daten können eine Vorstellung von der vollbrachten Arbeit vermitteln:

1565: Am 21. Mai versammelt sich das Generalkapitel, um die Anwendung der Konzilsdekrete zu            fördern. Den Äbten wird aufgetragen, die Klöster ihrer Länder zu visitieren.

1569: Nikolaus Boucherat, der Prokurator des Ordens, visitiert die Klöster in Süditalien und Sizi-  lien

1570: Am 1. April veröffentlicht Dom Hieronymus Souchier eine Liste von Verfügungen, die die     Dekrete des Konzils von Trient auf den Orden anwenden.

1572: Nikolaus I. Boucherat visitiert die Klöster Italiens und hält dort ein nationales Kapitel.

1573-1574: Er visitiert die Klöster der Schweiz, Schwedens, Ober- und Niederdeutschlands sowie          der benachbarten Regionen.

1575: Er visitiert in Flandern.

            Seine beiden Nachfolger verlangsamen den Rhythmus nicht: Polen, Böhmen, Frankreich, Italien, Savoyen, Burgund, Belgien, Deutschland und selbst Spanien werden durch Dom Edmund visitiert. Diese Liste lässt uns ahnen, dass eine wirkliche Arbeit vollbracht wurde, im Sinne der Bestrebungen des Konzils von Trient, trotz der Schwierigkeiten, die oben angeführt wurden. Und vor allem mussten die Geister an die Notwendigkeit einer Reform gewöhnt und so der Boden bereitet werden, damit bei einigen das Verlangen aufbrechen konnte, in der Strenge „noch weiter“ zu gehen, mit dem Risiko, das Maß zu überschreiten.

C) Die Feuillanten:

            Im 12. Jahrhundert in der Gegend von Toulouse als Zisterzienserabtei gegründet, stammte die Gemeinschaft von Les Feuillants aus der Linie von Morimond, ging aber anschließend in die Filiation von Pontigny über. 1562 erhält Jean de la Barrière sie als Kommende. Er beschließt 1573, ein Noviziat zu machen, um dann Regularabt zu werden. Nach seiner Profess wird er von der Gemeinschaft in Les Feuillants „sehr schlecht“ aufgenommen: diese setzt sich vorwiegend aus Nachgeborenen der Familien zusammen, die überhaupt keine Lust haben, ein Leben nach der Regel  zu führen, so dass es schließlich zu einigen Versuchen kommt, Jean zu ermorden. Klug zieht er sich nach Toulouse zurück, um 1574 als einfacher Mönch zurückzukehren. Erst am 7. April 1577 erhält er die Abtsweihe. Am folgenden 3. Mai gibt er der Gemeinschaft bekannt, daß er zu einer ernsthaften Beobachtung der Regel zurückkehren wolle: die Mönche beeilen sich, sich anderen Gemeinschaften anzuschließen, die ihnen mehr liegen, und es bleiben in Feuillants nur zwei Professen und zwei Novizen übrig. Jean wollte zu den ursprünglichen Observanzen von Cîteaux zurückkehren; sofort mit der Wiederaufnahme der Observanzen stellen sich auch Berufungen ein.

            Aber von seiner spirituellen Hochherzigkeit fortgerissen, fügt Jean noch so vieles hinzu, dass - obwohl es durchaus Gutes war - die Autoritäten des Zisterzienserordens eingreifen, um seinen Mangel an Maßhaltung auszugleichen und die Einheit des Ordens zu wahren. Angesichts des Widerstandes Dom Edmunds de la Croix, des Abtes von Cîteaux, wendet sich Dom Jean an den Papst, der seine Reform approbiert. Es werden Klöster gegründet: 1586 San Vito; 1587 Paris; 1589 Bordeaux.

            Die Äbte von Cîteaux und Morimond bitten den Papst um die Abhaltung eines Generalkapitels der Feuillanten. Das findet im Juni 1592 statt: jede Jurisdiktion über die Feuillanten wird dem Abt von Cîteaux und seinen Nachfolgern entzogen. Die Feuillanten sind damit ein von den Zisterziensern unabhängiger Orden geworden. Die neuen Konstitutionen wurden 1595 bestätigt: sie mildern ein kleines bißchen die ursprüngliche Strenge, indem sie das Tragen von Holzsandalen erlauben anstatt barfuss zu gehen. Auch darf man Eier, Fisch, Milchprodukte und Öl genießen…

Der Orden entfaltet sich weiter bis zur Französischen Revolution, die ihn dann verschwinden lässt.

D) Die Studenten des deutsch-ungarischen Kollegs:

            Im Jahre 1601 bitten zehn Studenten des deutsch-ungarischen Kollegs, von den Ideen des Konzils von Trient beseelt, in den Zisterzienserorden eintreten zu dürfen. Es waren Männer, die auf theologischer und philosophischer Ebene bereits gut geschult waren: einige besaßen den Magister- oder Doktorgrad. Sie sind auch geprägt von der zu dieser Zeit sehr geschätzten Spiritualität der Jesuiten. Die Zisterzienseräbte schicken die jungen Mönche zum Studium. Diese unterzeichnen eine Erklärung, in der sie bestätigen, daß sie eine monastische Ausbildung in Cîteaux und Clairvaux erbitten, um das Zisterzienserleben „an der Quelle zu schöpfen, an der es erstmals entsprungen war“, aber sie haben nicht die Absicht, dort das Gelübde der Stabilität abzulegen: sie wollen nach Deutschland zurückkehren, um dort an der Reform der Klöster zu arbeiten. Zwischen 1601 und 1604 machen fünf von ihnen ihr Noviziat in Cîteaux und fünf in Clairvaux. Es ist aufschlussreich festzustellen, dass zwei der zukünftigen Äbte der Genauen Observanz, Octavius Arnolfini und Hieronymus Petit, sich zur gleichen Zeit in Clairvaux aufhielten, und dass diese Begegnung zweifellos weder für die einen noch für die anderen unfruchtbar blieb.

            Von diesen zehn Studenten werden sechs vor 1615 sterben, und vier werden Äbte. Jene, die nach Österreich zurückkehren, gehen in die Abtei Heiligenkreuz, abgesehen von einem, der in Salem bleiben wird. Einer von ihnen, Antonius Wolfrad wird zuerst Abt von Wilhering, dann von Kremsmünster (Benediktiner), ehe er Fürstbischof von Wien wird.

E) Orval:

Es ist unmöglich, die in dieser Abtei geleistete Reformarbeit zu übergehen, auch wenn wir sie nur kurz erwähnen können.

Lambert von Hansimbourg beginnt die durch die Dekrete des Konzils von Trient und die Anweisungen von Dom Hieronymus Souchier geforderte Reform.

Bernard von Montgaillard, der „Kleine Feuillant“, wurde der Abtei aufgezwungen, weshalb man ihn sehr schlecht aufnahm. Dennoch legt er schließlich dort seine Gelübde ab, bestärkt die Reform seines Vorgängers und führt die Genaue Observanz ein. Mit ihm überschreitet die Genaue Observanz die französischen Grenzen; dennoch muss man im Gedächtnis behalten, dass die zukünftigen Streitereien sich vor allem innerhalb Frankreichs abspielen werden, weil sie zu sehr mit der französischen Politik verknüpft waren. Die nicht französischen Klöster werden wenig damit zu tun haben.

3. Die Entstehung der Genauen Observanz:

             A) Das Auftauchen:

            Wie oben bereits betont, hat die in der Folge des Konzils von Trient durchgeführte Arbeit die Verwirklichung der nötigen Reformen in der Kirche und somit auch in den Klöstern erlaubt. Am Ende des 16. Jahrhunderts ist, wie eine 1596 in Orval durchgeführte Befragung bezüglich der Nachfolge des Abtes bezeugt, die tridentinische Reform in bestimmten Klöstern sehr gut verwirklicht worden, und zwar so gut, dass  sich hie und da ein Wille, zur ursprünglichen Observanz zurückzukehren, klar auszudrücken beginnt. Eine ganze Zeit lang leben „Reformierte“ und „Nichtreformierte“ zwanglos zusammen, selbst innerhalb der gleichen Gemeinschaft, wobei die beiden Lebensweisen sich im übrigen nicht sehr stark von einander unterscheiden.       

Damit eine Reform an Breite gewinnen, sich koordinieren und sich offiziell strukturieren kann, ist  es nötig, dass die Idee von Menschen aufgegriffen wird, die ihr im eigenen Leben Gestalt geben und eine so starke Persönlichkeit besitzen, daß ihre Wahl ansteckend wirkt und Schüler folgen.

            Für die Verbreitung der Genauen Observanz haben wir drei Männer, drei Mönche:

- Dom Dionysius LARGENTIER, Abt von Clairvaux, der die Bewegung im Hintergrund unterstützen wird, ohne je rechtlich ein Teil davon zu sein.

- Dom Octavius ARNOLFINI für die ersten Vorstöße.

- Dom Stephan MAUGIER, der sie zusammenführen und an der Reform mit einem manchmal ungelegenen Ungestüm arbeiten wird.

Unterstützt und bestärkt werden sie durch den demütigen und zurückhaltenden, aber nicht weniger einflussreichen Dom Hieronymus PETIT, Abt von L'Étoile.

B) Die Männer:

Dom Dionysius LARGENTIER

1557 in Troyes geboren, tritt er mit sechzehn Jahren in Clairvaux ein. Nach dem Studium am Bernhardskolleg in Paris, das er mit dem Doktor in Theologie beendet, und dem Dienst als Prokurator des Ordens in Rom, wird er zum Abt von Clairvaux gewählt. Wer ist der Mönch Dionysius Largentier? Ohne Zweifel ein sehr demütiger Mann, denn er unterstellte sich der geistlichen Leitung von Dom Hieronymus Petit, der deutlich jünger ist als er. Der Autor des „Lebens“ von P. Hieronymus schreibt: „Dom Dionys Largentier, Abt von Clairvaux, bei Königen und Fürsten willkommen, geachtet von den Herren, nahm, da er sein Gewissen in Ordnung bringen und in der Genauen Observanz der Regel leben wollte, unseren guten Vater Dom Hieronymus als seinen Meister und Führer und erwies sich als so demütig und folgsam gegenüber dessen Anordnungen und Unterweisungen, dass er allen anderen Novizen und Professen des Hauses ein Beispiel gab. Er machte die zehntägigen Exerzitien unter seinem Meister mit soviel Eifer und Mut, soviel Demut und Unterwerfung, soviel Selbstverleugnung und Strenge, dass er selbst die Lauesten und Trockensten zur Tugend ermutigte; er kam, sich vor unserem guten Vater seiner Fehler anzuklagen und bat ihn um eine Buße, mit einem Wort, er tat alles, was ein kleiner Novize machen konnte, um in der Tugend voranzuschreiten.“

            Gleichzeitig ist Dom Largentier sehr besorgt, seine Funktionen als Pater Immediat zu erfüllen, durch die er daran arbeitet, die Reform in seinen Tochterhäusern einzuführen. Zu diesem Ziel macht er Leute ausfindig, die ihr gegenüber offen sind, und wenn es junge Mönche sind, lässt er sie nach Clairvaux kommen, um sie auszubilden, oder gibt ihnen Ämter in seinen Abteien.

Unter anderem:

- Dom Octavius Arnolfini, Abt von la Charmoye, den er zum Abt von Châtillon wählen ließ.

- Stephan Maugier, von dem der Autor seiner „Vita“ erzählt: „…Dom Dionysius Largentier, Abt von Clairvaux, der in großem Eifer für das Wohl des Ordens entbrannt war und überall Leute suchte, die ihm bei einem so großen Werk helfen könnten, hatte mehrmals den Prior von Aumône  predigen hören… und die große Begabung und andere große Gnaden, die Gott ihm verliehen hatte, erkannt, und dass er geeignet wäre, das Reformwerk, das er in seinem Geiste für seine ganze Filiation empfangen hatte, umzusetzen. So bedrängte er Monseigneur, den Hochwürdigsten Generalabt von Cîteaux, mit dem er in vollkommener Geistes- und Willenseinheit für das Wohl des Ordens lebte, so sehr, dass dieser ihm erlaubte, ihn [Dom Stephan] aus der Filiation von Cîteaux herauszunehmen, um ihn in der von Clairvaux einzusetzen.“

- Dom Hieronymus Petit: „Dom Largentier, der Abt von Clairvaux, ging in die besagte Abtei von Montiers, um sie zu visitieren. Nachdem er ihn gesehen hatte [=Hieronymus Petit] wollte er ihn haben, und tatsächlich erbat er ihn vom Prior und den Mönchen des besagten Hauses, die ihn sofort zugestanden. Er wurde nach Clairvaux geschickt, um hier eine zweite Stabilität zu machen und die Gelübde zu erneuern, die er abgelegt hatte, ehe er das erforderliche Alter besaß.“

- Dom Jacques Minguet, ein junger Mönch von Clairvaux, den er nach Châtillon sandte, wo der Abt, Dom Octavius Arnolfini, die Reform in Gang brachte. Damit war dieser Abtei ein weiterer Mönch geschenkt, der der Genauen Observanz günstig gesinnt war.

- Dom Louis Quinet begegnete er in Val-Richer und sandte ihn zum Studium unter der Leitung von Dom Octavius Arnolfini.

Diese Mönche werden sich immer wieder treffen und zusammen arbeiten, sei es am Bernhardskolleg, sei es anlässlich von Klostervisitationen, sei es bei Besprechungen mit dem Kardinal Rochefoucauld, also unter schwierigen Umständen, wo sich allzu oft menschliche Kleinlichkeiten und politische Interessen vermengen.

            Es ist auch wichtig zu betonen, dass Dom Largentier ein Mann der Versöhnung ist: als Kämpfer für die Reform zwingt er sie doch keinem mit Gewalt auf, selbst wenn er als Amtsträger Mönche ernennt, die für die Reform gewonnen sind, oder in einem Kloster einige Mönche auswechselt, um die Reform irgendwo voranzubringen. Obwohl er sich für die Reform einsetzt, ist er doch niemals rechtlich ein Teil von ihr. Er lebt sie ganz einfach; er wird auch von beiden Richtungen gehört und geachtet. Sein Tod am 25. Oktober 1624 bezeichnet den Anfang einer Epoche, in der die Beziehungen zwischen den beiden Observanzen immer angespannter und feindseliger werden.

Dom Octavius ARNOLFINI

            Ohne den Einfluss der anderen herabzusetzen zu wollen, kann man ihn doch als den Stifter der Genauen Observanz ansehen; er hat die vom Konzil von Trient empfohlenen Reformen am weitesten vorangetrieben und war dabei doch ganz im Schoss des Ordens von Cîteaux geblieben, im Gegensatz zu Dom Jean de la Barrière, der sich in der Folge davon trennte.

            Er stammte von einem Vater, der aus der Toskana gekommen war, und wurde 1579 in Lyon geboren; seine Jugend verbrachte er am Hof König Heinrichs IV. 1598 erhält er die Abtei Charmoye als Kommende. Er nimmt sich zuerst die materielle Wiederherstellung der Abtei vor, dann macht er von 1602-1603 sein Noviziat in Clairvaux unter dem Hirtenstab von Dom Dionysius Largentier und legt dort seine Gelübde ab. Am 5. Juli 1603 wird er vom König als Regularabt von La Charmoye anerkannt. Eine feste Freundschaft verbindet Dom Largentier und Dom Arnolfini, eine Freundschaft, die ganz im Dienst der Ausbreitung der Reform in der Filiation von Clairvaux stehen will, als Dom Octavius am 24. Februar 1605 zum Abt von Chatillôn gewählt wird. Bis dahin gibt es weder etwas  Schriftliches seitens der Professmönche, noch eine offizielle Entscheidung: die Reform nimmt Gestalt an in kleinen Inseln, die untereinander nicht besonders stark verbunden sind: Clairvaux, La Charmoye, Châtillon, Cheminon und Prières sind die hauptsächlichen Zentren des Einflusses.

            Die erste „offizielle“ Akte ist am 9. Mai 1606 im Bernhardskolleg in Paris niedergeschrieben worden: mit Stephan Maugier, Mönch von Aumône und Abraham Largentier, Mönch von Cîteaux, unterzeichnet Dom Arnolfini einen Text, in dem sie bestätigen: „… wir versprechen, dass wir, nachdem wir über die Wahrheit aufgeklärt sind, genau unsere Regel, die von unseren Vätern in den Generalkapiteln gefaßten und erlassenen Beschlüsse, Konstitutionen und Vorschriften beobachten und hüten werden, ohne Rücksicht auf irgendwelche Dispens, die seitens des Papstes herbeigeführt sein könnte...

            Das kann als der Grundlagentext angesehen werden. Dieses Mal wird öffentlich der gute Wille unzweideutig kund, eine neue Lebensform einzurichten. Ihr wird Dom Arnolfini alle seine Kräfte  widmen.

Dom Stephan MAUGIER

     Eine starke Persönlichkeit, die an die Reform glaubt und so sehr daran festhält, dass sie sich anfechtbare Manöver erlauben wird, um sie zum Sieg zu führen und sie allen aufzuerlegen. Dom Stephan ist ein bedeutender Anteil bei der Ausbreitung der Genauen Observanz zuzuschreiben; er hat keine Mühe gescheut, ihr zu dienen. 1573 geboren, trat er gegen 1584 in Aumône ein und legte dort 1589 Profess ab. Nach den Studien am Bernhardskolleg, das er als Baccalaureus in Theologie verließ,  wurde er zum Prior von Aumône ernannt und zum Priester geweiht. 1604 kehrte er nach Paris zurück. Um diese Zeit erbat ihn Dom Dionysius Largentier für seine Filiation. Mit Dom Arnolfini und Abraham Largentier unterzeichnete er die Erklärung vom 9. Mai 1606, die ihren Willen ausdrückte, sich zu reformieren. Am 9. Dezember 1608 folgte er Dom Arnolfini, der Abt von Châtillon wurde, auf den Abtsstuhl von La Charmoye. Von da an beginnt sein reformatorischer Eifer sich unablässig weiter zu entwickeln, denn vor allem die Ämter, die er auszufüllen hatte, gaben ihm auch die Möglichkeiten dazu. Er wurde Superior von Port-Royal des Champs (1609-1625), Superior von Maubuisson, und dazu auch 1609 noch Vikar des Abtes von Clairvaux. Man erlebte, wie er sich in der Abtei Lys einschaltete und wie er Dom Bernard Carpentier bei der Reform der Abtei Prières half.

    

            1623 visitiert er mit Dom Octave Arnolfini die achtundfünfzig Klöster der Filiation von Clairvaux, und am 28. Juli ernennt ihn Dom Nicolas II Boucherat zum Vikar der zehn Klöster der Genauen Observanz. Die Ernennung wurde 1628 und 1634 durch Dom Petrus Nivelle verlängert und 1635 durch  Kardinal Rochefoucauld, den Apostolischen Visitator bestätigt, dann 1636 durch Kardinal Richelieu, den neuen Abt von Cîteaux. Am 11. März des Jahres 1623 unterzeichnet er die Richtlinien des Kardinals Rochefoucauld für die Reform des Zisterzienserordens.

            Im Juli 1624 ruft er ein Kapitel der Genauen Observanz in Vaux-de-Cernay zusammen. 1626 beruft er ein weiteres Kapitel im Hinblick auf die Erstellung der Konstitutionen ein. Beharrlich trieb er  Kardinal Rochefoucauld an, die Genaue Observanz allen Zisterzienserklöstern in Frankreich aufzuerlegen. Er ist anwesend bei jeder Besprechung, die der Kardinal diesbezüglich anberaumt: November 1633; Februar, April, Mai 1634. Er arbeitet eng mit den anderen Förderern der Reform zusammen: sicherlich mit Dom Largentier und Dom Arnolfini, aber ebenso mit Dom Hieronymus Petit und Dom Jean Jouaud, seinen Assistenten in der Funktion als Generalvikar.

Dom Hieronymus PETIT

     Er ist vielleicht weniger bekannt als die beiden Vorgenannten, hat aber ebenfalls eine Rolle ersten Ranges bei der Einführung der Genauen Observanz gespielt. 1586 geboren, trat er 1600 in das Noviziat von Montiers ein, wo er, wenn man dem Autor seiner „Vita“ glauben will, „sich der Tugend hingab“, während „die Ordensleute sehr schlecht lebten… und ihn drängten, seine Frömmigkeit aufzugeben“. Hier legte er seine Gelübde ab. 1603 steigt Dom Largentier auf der Durchreise im Kloster ab und nimmt Hieronymus dann mit; er wird Professe von Clairvaux. Nach den Studien bei den Jesuiten und am Bernhardskolleg wird er dort mit Vorlesungen betraut und zum Priester geweiht. Gegen 1617 erbittet ihn Dom Arnolfini, damit er ihm helfe, die Reform in Châtillon einzuführen. Nach einem Aufenthalt in Cheminon, wo er das mit Dom Maugier begonnene Werk festigt, wird er Novizenmeister in Clairvaux, ein Amt, das sich ausgezeichnet eignet, die Reformgedanken einzupflanzen. 1621 zum Abt von l’Etoile ernannt, arbeitet er an der Wiederherstellung dieser Abtei und ist an der Seite von Dom Arnolfini und Dom Maugier bei den Besprechungen des Kardinals Rochefoucauld. Zusammen mit Dom Maugier begleitet er diesen bei der unter Militärschutz durchgeführten Visitation des Bernhardskollegs im Mai 1634. Am 15. September 1634 wird er zum ersten Assistenten von Dom Maugier ernannt. Und wenn man bedenkt, dass Dom Largentier ihn zu seinem geistlichen Führer gewählt hatte, kann man leicht ermessen, welche Bedeutung ihm bei der Geburt der Genauen Observanz zukam. Er starb mit 49 Jahren, am 25. Oktober 1635.

4. Die genaue Observanz: ein Ideal und viele Menschen

A) Von den Reformatoren unterstrichene Punkte:

            Wir finden hier die Hauptlinien des Konzils von Trient wieder, aber in Bezug gesetzt zur Regel des hl. Benedikt und zu den ersten Vätern von Cîteaux, übrigens mit Akzenten, die an die Gründer des Neuen Klosters erinnern:

            „ … Versprechen und fester Entschluss, die Regel des hl. Benedikt buchstabengetreu zu befolgen, in Übereinstimmung mit den Statuten, Konstitutionen und Dekreten unserer alten Generalkapitel…“ (Erklärung vom 9. Mai 1606).

            „… Die Regel achten mit der alten Hochherzigkeit unserer hl. Väter…“ (Mönche von Châtillon, am 12. März 1622)

            Dann kommen die verschiedenen Observanzen, die man neu anpasst, um so zu leben, wie in den ersten Jahren der Zisterzienser, besonders mit Bezugnahme auf den hl. Bernhard: in Armut, Schweigen, Gemeinschaftsleben und Klausur, Sorgfalt bei der Feier des göttlichen Offiziums. Aber man legt eine gewisse Betonung auf die Askese und die Praxis der Abtötung: Rückkehr zu den in der Regel vorgesehen Fasten, über die kirchlichen Vorschriften hinaus, und besonders Enthaltung von Fleischspeisen gemäss der Regel des hl. Benedikt: Diese Abstinenz wird zum Symbol der Genauen Observanz schlechthin, obgleich sie doch nur eine Praktik unter anderen ist. Ebenso ist festzustellen, daß man der körperlichen Arbeit, die in der Vergangenheit nach und nach aufgegeben worden war, wieder mehr Platz einräumt.

            Einige Auszüge aus dem „Leben“ von Hieronymus Petit: „Er zog sich in sein Zimmer oder in die Kirche zurück, um zu Gott zu beten. Oft ging er zum Glockenturm, um sich mit geknoteten Stricken, die er gefunden hatte, zu gürten, und er trug sie fast immerfort unmittelbar auf der Haut“. Unser guter Vater begann sich dort [in Châtillon] als ein lebendiges Portrait des hl. Bernhard zu erweisen, indem er die Regel auf den Punkt genau beobachtete: er war der erste in der Kirche, beim Gebet, bei der Arbeit und bei allen Übungen des Klosters; oft geißelte er sich mit Ketten aus Eisen und trug fast immer ein härenes Hemd, er fastete fortwährend, war prompt im Gehorsam und fand seine Freude darin, die niedrigsten Tätigkeiten im Kloster zu verrichten. „Als der Ehrwürdige Vater Dom Stephan Maugier… diesen guten Abt arbeiten sah, wollte an ihrer Arbeit teilnehmen, und während seines  Aufenthaltes in L'Étoile arbeitete er wie die anderen, ohne sich um seine Eigenschaft als Vikarabt zu kümmern …“ Auch die „Verehrung der Gottesmutter“ von Dom Hieronymus wird hervorgehoben.

B) Der „Krieg der Observanzen“:

            Es wäre zu langwierig und würde nichts nützen, alle Einzelheiten dieses Kampfes aufzuführen, in dem die Allgemeine und die Genaue Observanz befangen waren. Es genügt, sich an die Personen und die verschiedenen Auseinandersetzungen zu erinnern:

- Die „Reformatoren“ sind leidenschaftlich, wie alle Männer ihrer Kragenweite, von einer Leidenschaft gepackt, die zu einem Leben aufrichtiger Umkehr führte, aber auch Anhänglichkeiten umfassen kann, Bestrebungen, anderen die eigenen Ansichten aufzudrängen.

- Die fast schon traditionellen Querelen zwischen den Äbten von Cîteaux und Clairvaux, die eine sachliche und brüderliche Auseinandersetzung unmöglich machen.

- Die Methoden, mit denen man kurzen Prozeß machte:

- Mönche wurden aus ihrem Kloster vertrieben, um es den „Abstinenten“ zu übergeben.

- Es durften nur noch solche Novizen aufgenommen werden, die bereit waren, „Abstinente“: zu werden; das konnte nur als der Wille verstanden werden, auf mehr oder weniger lange Sicht die Allgemeine Observanz dem Untergang zu weihen.

- Die Querelen zwischen dem Abt von Cîteaux und den Protoäbten, z. B. die Drohung der Protoäbte, die Beschlüsse des von Petrus Nivelle zum 20. August 1627 einberufenen Kapitels für nichtig zu erklären, weil er - wie seine Vorgänger - seiner Signatur den Titel „Generalabt“ hinzufügte.

- Die unter Richelieu herausgegeben Schmähschriften.

- Die italienische Politik:

- Die Kriege, die aus Spanien einen Feind machten.

- Italien ist verhasst wegen Maria von Médici - und Dom Octavius Arnolfini ist von Geburt Italiener! Eine Kongregation bilden zu wollen, das würde bedeuten, dem Beispiel Spaniens und Italiens zu folgen (Kongregationen werden als „nationalistisch“ beurteilt) und sich vom Orden zu trennen, steht also der Carta Caritatis entgegen. Der Kampf um Einfluss verlagert sich zwischen den König und das französische Parlament.

Einige ermittelte Daten, einige Tatsachen:

Bis 1618 herrschte ein friedliches Miteinander von örtlichen Bewegungen, deren Überzeugungen sich langsam allgemein verbreiten.

1613: die Mönche von Châtillon bitten durch Vermittlung des Abtes von Clairvaux den Generalabt, Dom Nikolaus II. Boucherat, um die Erlaubnis, sich vom Fleisch enthalten und das ganze Fasten der Regel einhalten zu dürfen.

1614: am 14. März ergeht die Antwort des Abtes von Cîteaux: weil es „den ganzen Orden betrifft und von Bedeutung ist für die Einheit, Gleichförmigkeit und Ruhe des Ordens…, der verwirrt, und weil die Liebe zerbrochen werden könnte…“ muss er die “Zustimmung unserer Primaräbte“ erbitten…“ Die Abstinenz übrigens „ist nur wie ein Begleitumstand der Frucht und des Wesentlichen …“

30. März: Ostern. Die Erlaubnis ist bis zum Kapitel erteilt. Andere Klöster verwirklichen die gleiche Bitte unter den gleichen Bedingungen.

1618: Generalkapitel: die Frage wird auf höherem Niveau gestellt: ein Wendepunkt.

Nikolaus II. lobt die Observanzen der Reform als mit der Regel übereinstimmend, aber gleichzeitig fürchtet das Kapitel um die Einheit der Ordenszucht. Ein Kompromiss wird gefunden:

die Allgemeine Observanz wird sich von September bis Ostern vom Fleisch enthalten und das ganze Jahr hindurch die Ordensfasten halten.

die genaue Observanz wird sich künftig der Gesamtheit des Ordens anpassen.

Aber niemand ist wirklich zufrieden:

die Allgemeine Observanz befürchtet, dass neue Einschränkungen auferlegt werden;

die Genaue Observanz ist nicht bereit, auf die vollständige Abstinenz zu verzichten, und wünscht sogar, sie auf den ganzen Orden ausgedehnt zu sehen…

Die beiden Richtungen beginnen also, sich einander entgegenzustellen.

1620: 31. Dezember: Claude Largentier ist zum Koadjutor des Abtes von Clairvaux gewählt worden.       Enttäuschung von Dom Maugier und Winkelzüge gegen den Gewählten. Gegnerschaft in             Clairvaux selbst zwischen „Alten“ und „Abstinenten“.

1622: Kardinal Rochefoucauld wird von Gregor XV. zum „Apostolischen Visitator des Ordens vom           hl. Benedikt, des hl. Augustinus und von Cîteaux“ ernannt. Als Folge wird die Frage der Ge-       nauen Observanz von Autoritäten außerhalb des Ordens behandelt.

            15. Juli: Louis XIII. verspricht dem Kardinal seine Unterstützung.

1623: 30. Januar: Sonderkommission, ohne einen Zisterzienser: Projekt einer besonderen Kongre-         gation für die Genaue Observanz.

            15. Mai: Generalkapitel. Abstimmung über die Reformdekrete und vollkommene Verwerfung         der Idee einer Kongregation, aber die Enthaltung von Fleisch während des ganzen Jahres           wird der Genauen Observanz erlaubt.

            28. Juli: Zwischenkapitel: Dom Maugier wird zum Generalvikar für die Genaue Observanz            ernannt und ist berechtigt, ein gesondertes Kapitel abzuhalten.

            12. Oktober: Dekret von La Rochefoucauld für die Noviziate. Neues Kongregationsprojekt.            Die „Alten“ werden ertragen, haben aber keinerlei Anteil an der Leitung des Klosters.

1624: 11. Juli: erstes Kapitel der Genauen Observanz in Vaux-de-Cernay.

            4. September: Nicolas II. Boucherat bestätigt die Beschlüsse diese Kapitels, ausgenommen        die Wahl der Prioren.

            Oktober: Dom Denis Largentier ist in Orval. Die Genaue Observanz ist außerhalb Frank- reichs.

            25. Oktober: Dom Largentier stirbt in Orval. Der Konflikt verhärtet sich.

            9. November: Installation von Dom Claude Largentier: die Abstinenten verweigern ihm die             Anerkennung; Amtsenthebung des Priors; Clairvaux geht zur Allgemeinen Observanz über.

1625: 8. Mai: Nikolaus II. Boucherat, der Abt von Cîteaux, ist tot.

So hat man:

- In Clairvaux: von April 1625 bis Juni 1626: die Affäre Dom Claude Largentier.

- In Cîteaux: vom Mai 1625 - bis zum Mai 1626: die Affäre der Abtswahl.

1626: 13. Mai: Dom Petrus NIVELLE ergreift Besitz von Cîteaux. Er wird noch eine gewisse Zeit  den Widerstand der Proto-Äbte ertragen müssen.

            Nach ihrer Wahl fördern die Äbte von Cîteaux und Clairvaux die Genaue Observanz nicht mehr.

1628: Generalkapitel: es schreibt vor, in die Häuser der Genauen Observanz keine Mönche zu schik-      ken, die die Abstinenz nicht wollen, und umgekehrt keine Abstinenten in die Klöster der All-      gemeinen Observanz zu schicken, damit „die Einheit nicht zerbrochen werde“.                           Dieses Kapitel ernennt Dom Octavius Arnolfini zum Generalvikar der Genauen Observanz.

1632: Zweite Apostolische Visitation des Kardinals von La Rochefoucauld. Der Genauen Obser-  vanz, die noch immer keine Satzung hat, muss eine gegeben werden.

1633: August: Der Kardinal ruft den Abt von Cîteaux und die Proto-Äbte zusammen. Einzig der Abt          von Pontigny erscheint. Weitere Einberufungen werden ebenfalls erfolglos bleiben.

1634: 16. Februar: Projekt zur Einführung der Genauen Observanz in den wichtigsten Klöstern des         Ordens.

            20. März: ein Geheimbrief ruft die Proto-Äbte in Paris zusammen und untersagt die Ver-   sammlung des Generalkapitels.

            5. Mai: der Dialog zwischen dem Kardinal und der Allgemeinen Observanz bricht ab.                    9.-12. Mai: Visitation ‚manu militari’ (mit militärischer Unterstützung) des Bernhardskollegs.    19. Mai: neue Vorschläge von der Allgemeinen Observanz werden zurückgewiesen.

            Im Juni legt man Berufung ein beim König. Während des Sommers wählen beide Parteien           Kardinal Richelieu zum Schiedsrichter.

            23. November: der Rat des Königs ordnet an, die Erlasse von Rochefoucauld sollten in den         Klöstern schrittweise eingeführt werden, jedoch unverzüglich im Bernhardskolleg.

1635: Am 25. März werden die Artikel von Royaumont verabschiedet.

            6. Mai: königliche Bewilligung, um ein nationales Kapitel einzuberufen. Der Kardinal Roche-          foucauld befürchtet, dieses Kapitel könnte eine Beeinträchtigung seiner Anordnungen mit    sich bringen, um so mehr, als sein Mandat als Visitator am 10. September endet. Er versucht   auch das Unmögliche, seine Anordnungen vor diesem Datum durchzusetzen.                                   6. September: Rochefoucauld führt selbst die Genaue Observanz im Bernhardskolleg ein.

            10. September: sein Mandat als Apostolischer Visitator endet.

            1. Oktober und die folgenden Tage: Nationalkapitel. Es hebt die Anordnungen von Roche-             foucauld auf und erklärt sie für nichtig, und es bestätigt die Artikel von Royaumont.                     Ende Oktober: Abdankung von Dom Petrus Nivelle zugunsten von Richelieu.

            16. November: Die Heilige Kongregation hebt alle Akte Rochefoucaulds, welche die Juris-            diktion des Abtes von Cîteaux beeinträchtigen, auf.                                                                     19. November: Richelieu wird zum Abt von Cîteaux „gewählt“. Aber das Programm, das er        vorstellt, ist dem Rochefoucaulds ähnlich: damit ist Cîteaux die Genaue Observanz auferlegt.

1642: 4. Dezember: Tod Richelieus. Der Kampf zwischen den „Alten“ und den „Reformierten“ um           den Abtsstuhl von Cîteaux entbrennt von neuem.

1443: 2. Januar: die „Alten“ übergehen die Beschlüsse des Staatsrates und wählen, unterstützt vom       Parlament von Burgund, Claude Vaussin. Wahlanfechtung und Machenschaften seitens der „Abstinenten“, Berufung an den König und        Rom…

1646: 15. Januar: Claude Vaussin wird als Abt von Cîteaux installiert, und Dom Jean Jouaud gelobt         ihm Gehorsam im Namen der Genauen Observanz.

            Aber nichts ist geklärt, und die beiden Parteien versinken in neuen Rechtsstreitigkeiten, die          sie vor die zivile Macht tragen - was nichts bringt.

5. Die Apostolische Konstitution „In suprema“:

     Eine neue Etappe ist erreicht, als am 18. Juni 1661 der Staatsrat einmal mehr die Durchführung der Erlasse Rochefoucaulds verlangt. Es bleibt der Allgemeinen Observanz nur ein Rechtsmittel übrig: Berufung in Rom einzulegen. Dom Claude Vaussin trifft Papst Alexander VII. am 29. November, der anerkennt, eine allgemeine Reform sei wohl begründet. Um eine Reflexion über das, was reformiert werden muss, anzuregen, veröffentlicht er am 16. Januar 1662 ein päpstliches Breve. Die Äbte der Genauen Observanz appellieren an den König gegen dieses Breve und stellen seine Rechtmäßigkeit in Frage. Es werden nochmals drei weitere Jahre mit Diskussionen, Prozessen usw. vergehen, bis der Staatsrat am 3. Juli 1664 alle vor die päpstliche Kommission schickt!

            Claude Vaussin geht nach Rom; und die Genaue Observanz delegiert Abt de Rancé und Dom Dominique Georges. Endlich veröffentlicht Alexander VII. am 19. April 1666 die Bulle „In suprema“.

            Diese Bulle bezieht sich direkt auf die Regel des hl. Benedikt, was keine der beiden Parteien ablehnen kann, und bestätigt, dass die Reform des Zisterzienserordens, „in der Linie des Konzils von Trient“, eine Rückkehr zur Regel des hl. Benedikt ist. Auf diese stützt sich der Papst, indem er die Kapitel kommentiert und daraus konkrete Anwendungen ableitet:

- Die Grenzen der Rechte der Äbte.

- Die regularen Visiten und das Statut der Proto-Äbte.

- Das Generalkapitel und die visitierenden Äbte.

- Das Schweigen.

- Das göttliche Offizium.

- Das Dormitorium, das Gemeinschaftsleben und die Armut.

- Die Abstinenz: wenn man sie übt, soll man sie wahren, aber man kann sich beim Eintritt entscheiden, sie nicht zu üben.

- Die Praxis des monastischen Fastens.

- Die Definitoren, ein Kapitel, das der Genauen Observanz echte Vorteile bringt.

- Die Empfehlung an die Proto-Äbte, die Genaue Observanz zu verbreiten.

Durch diese Bulle wird die den Zisterziensern so teure Einheit gerettet: die Ordenszucht ist für alle gleich, ausgenommen die Abstinenz von Fleisch. Was die Genaue Observanz betrifft, so bleibt sie, mit einer gewissen Autonomie, unter der Autorität des Abtes von Cîteaux. Von dieser Bulle konnte man einen echten Frieden erhoffen, und sie hat zweifellos dazu beigetragen, eine Spaltung zu vermeiden. Aber die Menschen geben nicht leicht ihren Willen und ihre Vorrechte auf, und unglücklicherweise werden andere Zankäpfel auftauchen, ausgehend von den Entscheidungen von 1666…

            Nach all dem kann nur die eine Frage auftauchen. Was ist, wenn man ganz auf den Grund hinabsteigt, das Wesentliche des zisterziensischen Daseins, jenseits der Praktiken, die immer mehr oder weniger an Zeiten und Orte gebunden sind? Die Antwort liegt zweifellos beim Geist …

Quellentexte:

1. Brief von Abt Nikolaus II. Boucherat an Dom Dionysius Largentier,                                   

wegen der Bittschrift der Mönche von Châtillon, am 14. März 1614.

            Mein Herr,

            Unsere Regel befiehlt mir, das Wohl derer nicht zu vernachlässigen, die mir anvertraut sind. Als geistlicher Vater des ganzen Ordens muss ich ihnen zum Wachstum der zeitlichen und geistlichen Güter verhelfen. Ich freue mich daher im Herrn und danke ihm, da ich erfahre, dass einige auf dem monastischen Weg voranschreiten, unter der Bedingung natürlich, dass dies sich im Geist unseres Gesetzgebers Benedikt vollzieht. Anderenfalls würde das sichtbare Band gefährdet werden. Der Genuß von Fleisch ist uns vom Heiligen Stuhl gestattet worden. Aber ich habe keinen Zweifel in diesem Punkt: jene, die dieses Zugeständnis nicht angenommen haben, als es gewährt wurde, um sich mit der exakten Vorschrift der Observanz zu begnügen, - das trifft für bestimmte Priorate von Mönchen und für einige Frauenklöster in Niederdeutschland zu, – haben sich dadurch als vollkommener erwiesen, als wenn sie, sich des Zugeständnisses des Heiligen Vaters erfreuend, davon abgewichen wären.

            Aber diejenigen, die diese Gnade [der Abstinenz] empfangen haben, haben sie nur mit Erlaubnis annehmen können. Diese Erlaubnis haben, und das dreimal, die Mönche von Châtillon von Ihnen erbeten, weil Sie ihr Abt sind. Als Abt haben Sie die Vollmacht, in gemeinschaftlicher oder persönlicher Angelegenheit zu dispensieren, nicht in Bezug auf das, was den ganzen Orden betrifft, damit dieser nicht verwirrt werde, damit die Liebe nicht zerbrochen werde. Aus diesem Grund haben sie mich auf dem Laufenden gehalten.

            Die Angelegenheit ist bedeutsam, weil sie den Orden in seiner Gesamtheit betrifft. Ich kann sie nur nach reiflicher Überlegung entscheiden und mit der Zustimmung der Primaräbte. Das kann erst auf dem nächsten Generalkapitel geschehen, welches dazu Stellung nehmen wird. Ich wünsche - damit alles so geschehe, wie es sich gehört - , dass unsere Brüder von Châtillon so gut sein möchten, bis Pfingsten die Allgemeine Observanz zu bewahren. Ich verspreche Ihnen, dass wir uns noch vor diesem Datum sehen werden, dass wir zusammen darüber nachdenken und dass wir diese Brüder werden zufrieden stellen können, indem wir ihnen eine ständige Abstinenz vom Fleisch zugestehen, aber gemäss unserer Regel.

            Mir wäre es am liebsten, jeder würde die grundsätzliche Lösung annehmen, zu dieser ursprünglichen Observanz zurückzukehren, zu der, die alle empfangen und beobachtet haben, aber im Hinblick darauf, sie wahrhaft Gott angenehm zu machen. Tatsächlich ist es, in Bezug auf unsere Gelübde, nur eine zweitrangige Observanz, von der man uns befreit hat. Sie ist nur eine Begleiterscheinung dessen, was die Frucht und das Wesentliche der Gelübde ausmacht.

            Es wäre also wichtig, das einzuführen, wovon wir absolut nicht befreit werden können, z. B. das gemeinsame Leben und die Gütergemeinschaft, um das, was unsere Regel empfiehlt, wirklich im Gebrauch anzuwenden. Mit einem Worte, wirklich und willentlich arm zu sein, gemäss dem Gelübde, das wir vor Gott abgelegt haben.

            Das gleiche gilt für den Gehorsam und den Respekt, den man den Oberen schuldet; beides müsste besser beobachtet werden, als es zur Zeit der Fall ist. Den Frauen, so klein sie auch sein mögen, ist der Eintritt in unsere Klöster ganz und gar verboten. Die Klausur selbst muß so festgelegt werden – ich spreche von den Männerklöstern – wie sie es in der Vergangenheit war. In mehreren Klöstern in Oberdeutschland wird sie noch auf diese Weise praktiziert; dort verlassen die Mönche - wenn sie kein Amt haben - niemals die Klausur, und keiner richtet ein Wort an einen anderen, ohne Erlaubnis oder Notwendigkeit.

            Wenn das alles nicht in Kraft bleibt, wird meiner Meinung nach die Abstinenz von Fleisch oder jede andere äußere Observanz vergeblich sein und ohne Verdienst. Jedenfalls möchte ich in dieser Sache, wie in allem, was die Reform unseres Ordens betrifft, mein Urteil den Meinungen und Ratschlägen unterwerfen, die Sie und Ihre Mitbrüder, die Äbte, äußern werden.

            Inzwischen will ich, mein Herr, zum Heiligen Geist beten, dass er Ihnen weiterhin seine Gnade erweise.

            Ich empfehle mich Ihrem Wohlwollen und Ihren heiligen Gebeten.

            Aus Cîteaux am 14. März 1614,

            Ihr sehr ergebener und geneigter Mitbruder und Bruder Nikolaus, Abt von Cîteaux“.

(nach Polycarp ZAKAR: Histoire de la Stricte Observance de l’Ordre cistercien depuis ses débuts jusqu’au Généralat du Cardinal de Richelieu, Document 4, S. 144-145; Editiones Cistercienses, Rom, 1966.)

2. Konstitution In Suprema des Papstes Alexander VII. vom 19. April 1666.

Artikel 12: Die Visitatoren der Provinzen der Klöster der Allgemeinen Observanz (…) sollen nicht nur aus den ‚bewährten’ Mönchen der Allgemeinen Observanz ausgewählt werden, sondern auch, wenn das sinnvoll scheint, aus den Mönchen der Genauen Observanz oder der Abstinenz, deren Rat und Hilfe nutzen können, um die gegenwärtige Reform einzuführen (vgl. RB 3).

Artikel 31: Die Postulanten werden durch den Visitator der Provinz und durch den Novizenmeister aufgenommen; dann werden sie, wenn sie von ihnen geprüft und für geeignet befunden wurden, eingekleidet und so in dieser Allgemeinen Observanz erzogen, dass sie gut verstehen, dass sie, abgesehen von der Fleischabstinenz, ihr ganzes Leben lang verpflichtet sein werden, alle Kapitel der heiligen Regel so zu halten, wie sie hier angeführt sind (vgl. RB 58).

Artikel 35 (vgl. RB 64): In Zukunft soll niemand mehr zum Generalabt des Ordens von Cîteaux gewählt werden, der nicht ausdrücklich Professe dieses Ordens ist; andernfalls wäre die Wahl ipso jure ungültig und die Wähler würden sich eo ipso ohne weiteren Schuldspruch ihrer aktiven und passiven Stimme für immer berauben (…). Man soll aber bei diesen Wahlen allen ungeordneten Stimmenfang und krumme Verfahrensweisen meiden, und die Abstimmungen nach den kirchenrechtlichen Vorschriften durch geheime Wahl vornehmen, wobei alle Mönche des besagten Ordens, von einer jeden der beiden Observanzen, sich des aktiven und passiven Stimmrechts erfreuen, es sei denn, dass von anderswoher ein Hindernis dazwischentritt.

Artikel 39: Damit man aber in Zukunft überall nach einer Regel, in einer Liebe und nach den gleichen Gebräuchen lebe, und damit alle Mitglieder des Ordens beiderlei Geschlechts wissen, worin die strengere Observanz (ausgenommen nur die Fleischabstinenz) besteht, fertige man eine kurzes und klares Sammelwerk an und eine Zusammenfassung all jener apostolischen Konstitutionen und Statuten, die nicht abgeschafft sind durch entgegengesetzte Übung oder aus einem anderen Grund (…).

Artikel 40: (…) Deshalb genehmigen und bestätigen wir, aus eigenen Antrieb und sicherer Kenntnis, nach reiflicher Beratung und kraft unserer Apostolischen Vollmacht, durch gegenwärtiges Schreiben  in allem die oben angeführten Artikel; wir fügen dem die Kraft einer fortdauernden und unverbrüchlichen Beständigkeit hinzu und schreiben vor, dass sie fest und unverbrüchlich gehütet werden sollen im ganzen Orden von Cîteaux, sowohl in Frankreich als auch in den anderen Ländern und Provinzen, von allen Ordensleuten der Allgemeinen wie auch der Genauen Observanz, und wir befehlen es unter den in der Regel enthaltenen Strafen (…).

Artikel 47: (…) Wir haben nicht die Absicht, den reformierten Mönchsklöstern im französischen Raum und ihrer Genauen Observanz irgendwie zu schaden, sondern wollen, daß diese in ihrer Festigkeit und Kraft bestehen bleibt .... Vielmehr möchten wir diese Genaue Observanz ermutigen in ihrer lobenswerten Lebensweise und unseren pastoralen Dienst zu Gunsten ihres Bestandes und ihres Wachstums einsetzen. Darum mahnen und ermutigen wir ernstlich im Herrn den Abt von Cîteaux und die vier Primaräbte, und wir schreiben ihnen vor und befehlen ihnen streng kraft des heiligen Gehorsams, diese Genaue Observanz nicht nur zu schützen und mit dem Eifer der Liebe zu umhegen, sondern sie auch nach Kräften zu verbreiten und einzuführen zu streben, damit sie mit dem Segen des Herrn täglich mehr Frucht trage in der streitenden Kirche“.

 

(Nach dem lat. Text in Nomasticon Cisterciense, ed. Séjalon, S. 592-606.)

                                   

Fragen als Hilfe zum Nachdenken:

1. Mit dieser Einheit treten wir in eine Zeit der Reformen ein. Scheint diese Forderung nach Reform nicht mit dem zisterziensischen Charisma innig verbunden zu sein? Warum?

Haben wir nicht, im Leben jeder Gemeinschaft, kleine Reformen in Gang zu bringen, günstige Augenblicke zu nutzen, Zeiten des Heils, in denen Gott zu einer Erneuerung der Herzen und der Verhaltensweisen aufruft? Welche Augenblicke sind das? Wie nehmen wir sie auf?

2. Über diese Aussage nachdenken:

„Ein Leben, das nichts Beißendes an sich hat, ist nicht zisterziensisch“ Casey, Collectanea 1998 Heft 1, S. 23).

3. Am Ausgangspunkt von Reformen, wie der von Cîteaux, findet sich oft eine Kerngruppe von Brüdern oder Schwestern. Kann man darin nicht einen bleibenden Ausdruck des zisterziensischen  Charismas erkennen, das nicht das Charisma einer einzelnen Führergestalt ist, sondern eine ge-meinschaftliche Gnade?

Hat diese Konstante ihre Quelle in der Regel?

Wie können wir diesen Aspekt unserer Berufung leben?