Vielleicht können manche von Ihnen mit diesem Titel
nichts anfangen. Gertrud ist keine Schauspielerin im üblichen Sinn des Wortes,
sie ist eine Heilige. Ist dann die Wortwahl nicht fehl am Platze? Das wäre
zweifellos der Fall, wenn man sich
nicht bewusst wäre, wie weit die Welt des Theaters von der Welt der Heiligen
entfernt ist. Es geht mir tatsächlich hier nur darum, den Typ der Heiligkeit
besser hervortreten zu lassen, der uns im Gesandten
begegnet und auf den wir uns hier
beziehen. Darum habe ich - nicht ohne Kühnheit, das ist wahr – den Begriff des
Hauptdarstellers[1] eingeführt, der übrigens dem
literarischen Genus des Werkes nicht vollkommen fremd ist. Gertrud und ihre
Mitschwestern verwenden gerne bestimmte Inszenierungen, um den Leser zum
Eintritt in das Spiel der göttliche Liebe (divina
pietas) zu bewegen. An ihm liegt
es, davon möglichst viel zu profitieren, indem er sich als Mitspieler anwerben
lässt und die erforderliche Rolle übernimmt.
Im Gegensatz zu den Gepflogenheiten einer Zeit,
in der die „Vitae“- „die
Lebensbeschreibungen der Heiligen“ ihre Helden so darstellen, als ob Adam in
ihnen nicht gesündigt hätte, verheimlicht das „Memorial an die göttliche Güte“
der Öffentlichkeit nicht die Fehler der Hauptdarstellerin, die zur Aufführung
kommt. Das passt gut zur Atmosphäre der
gesunden Echtheit, die aus dem Gesandten
hervortritt. Jede Art der Täuschung wird fern gehalten. Gertrud ist bei ihrem
ersten Auftritt nicht heilig, sie wird es, indem sie die Rolle übernimmt, die
ihr am Abend des 27. Januar 1281, dem Tag ihrer Bekehrung, ein „liebenswürdiger
und feiner junger Mann von ungefähr 16
Jahren“ anbietet, „dessen Äußeres meinen jungen Augen gefiel und allen meinen
Wünschen entsprach“ (Buch 2,1). Es ist Christus. Er wurde an diesem Abend an
seinen strahlenden Wundmalen erkannt, die er an der Hand hatte, und führte
Gertrud in der Folge in die Spiele der göttlichen Liebe (divina pietas) ein.
Eine sonderbare Sache, die unsere
Aufmerksamkeit auf sich lenken muss: die Heldin des Gesandten hat das Recht, Fehler zu haben und bei Fehlern ertappt zu
werden! Oder – um es anders zu sagen – die „Fehler“ haben mit der pietas eine bestimmte Rolle zu spielen,
ja, noch besser: sie haben anerkannten Wert, um den Menschen dahin zu bringen,
dass er ins Umfeld der pietas gerät.
(Buch 1,3; 3,82; 4,2; 5,1; 5,4) In dieser Hinsicht trifft sich Gertrud mit
einem besonderen Anliegen der heutigen Hagiographie, die nach D. Bertrand
„nicht mehr abgehoben ist, sondern von der Gegenwart der Gnade in der Schwere
menschlichen Lebens zeugt. Wer die Schatten verbirgt, entwertet die Kraft der
Gnade“[2].
Der Absender (der Heilige Geist) stellt dem Empfänger, dem Leser, durch
die Wahl von Gertrud eine Hauptdarstellerin vor, die „durch ihr Beispiel das
Vertrauen jedes Menschen hier auf Erden stärken kann.“ Gertrud selbst spricht darüber in ihrem
„Mémorial“:
„Welches meiner Verdienste, o Gott, hat mir ein
solches Geschenk verschafft, oder besser: welcher Ratschluss deiner Liebe? Sie
achtet nicht auf ihre Würde, sondern ist reich, Würde zu schenken, ja sie ist
kopflos, wartet nicht auf das Urteil der Vernunft und wird vom Verstand nicht
begriffen. Mein liebster Gott, du bist durch sie fast trunken und unvernünftig
geworden, wenn ich so sagen darf, dass du so Unähnliches miteinander
verbindest. Angemessener wäre es zu sagen, dass deine dir eigene, ganz naturgemäße Güte, innerlich betroffen von
inniger Liebe, in der du nicht bloß liebst, sondern die Liebe selbst bist, ihr
natürliches Sich-Verströmen zum Heil des Menschengeschlechtes eingesetzt hat.
Sie hat dich angetrieben, ein ganz fernes, winziges Menschlein, das durch sein
Geschick und das Fehlen der Gnade armselig und durch sein Leben und Verhalten
verachtenswert war, aus der Ferne
letzter Erniedrigung herauszurufen und ihm an der Größe deiner Majestät, ja an
der göttlichen Würde Anteil zu verleihen, damit dadurch jedes auf Erden lebende
Wesen im Vertrauen gestärkt würde! Ich hoffe und wünsche, dass es jedem
Christen durch die Gnade Gottes so ergehen und dass er keinen finden möge, der
mich in der Verschleuderung deiner Gaben und in der Belästigung des Nächsten
noch übertrifft.“ (Buch 2,8)
Der Regieführende wollte also den Leser durch
die Wahl Gertruds zum Vertrauen bewegen. Wir können uns daran erinnern, dass
die confidentia (das Vertrauen) des
Menschen auf die pietas Gottes den
größten Einfluss hat. Mehr als die Aufnahmebereitschaft wirkt sich die confidentia auf die pietas Gottes aus und zwingt ihn zum Handeln.
Er wäre der Mühe wert, den Gesandten unter dem
Gesichtspunkt zu studieren, den Leonardo Boff „die Integration des Negativen“[3] nennt. Man würde sehen, dass das
„Wunderbare“ bei Gertrud nicht die am Anfang erreichte Heiligkeit ist, sondern die Heiligkeit, die durch ein
realistisches Bewusstsein ihrer eigenen Schatten gewonnen wurde. Gertrud bringt aus sich kein „Licht“ hervor, „um
die Völker zu erleuchten“ (Buch 3,64), sie wird dazu bestimmt. Schließen wir
daraus nicht, dass es dem Gesandten gefällt, dem Leser ein
fehlerhaftes, dunkles und sündiges Bild des Menschen darzustellen. Sagen wir
eher, dass die reine Freude, die aus ihm hervorstrahlt, die des Evangeliums
ist, das uns Jesus zeigt, der am Tisch der Sünder sitzt und sagt: „Nicht die
Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen,
Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (Lk 5,31f.) Die Hauptdarstellerin, die vom
Heiligen Geist ausersehen wurde, um mit Christus zusammen aufzutreten, ist aus
den Kranken und Sündern genommen, denn für sie sind die überquellenden Ströme
der göttlichen Zärtlichkeit bestimmt. Wenn die Kranken und Sünder sie zusammen
mit Christus „spielen“[4] sehen, sollen sie sich zum
„Vertrauen“ bewegen lassen.
Man könnte gegen ein solchen Auswahlkriterium
das Argument vorbringen, dass die Heiligen dazu geführt werden, ihre Sünden und
Fehler zu übertreiben. Pierre Doyère hat in seiner Einleitung dieses Argument
mit viel Geschick zurückgewiesen:
„Wenn die Mystiker ihr Elend in
Ausdrücken bekennen, die eine große Scham zum Ausdruck bringen, führen
Hagiographen und Moralisten gerne gegen die angebliche Übertreibung deren Demut
an. Es liegt hier ein Missverständnis vor: Der Heilige stellt sich nicht in die
Perspektive eines Vollkommenheitsideals, das seinem Bemühen aufgegeben ist, um
anschließend zu messen, ob er ihm näher gekommen ist oder ob er es überhaupt
übernommen hat. Das Elend, über das er stöhnt und das er im Licht erkennt, in
dem er – so unscharf wie auch immer -
der göttlichen Transzendenz gewahr wird, ist nicht das seiner Tugend,
nicht einmal das seines Strebens. Es ist viel tiefer und absoluter das Elend seines Seins, nicht in abstrakter und
metaphysischer Erkenntnis, sondern als lebendige Reaktion vor der Gegenwart
Gottes. Ein Moralist versucht hier vielleicht eine Kurve der Vollkommenheit zu
ziehen, indem er von der Askese ausgeht, um zur Kontemplation zu gelangen, von
der Demut zur Ekstase. Bei einem Mystiker steht die echte Demut nicht an der
Wurzel der Ekstase, sie ist die Frucht davon. Diesen Zusammenhang hat der Autor
des ersten Buches durch eine besondere Erleuchtung gut erfasst. Er versteht, dass
die Demut Gertruds Frucht der großen
göttlichen Geschenke ist: je größer das Wirken Gottes in ihr ist, desto tiefer
erniedrigt sie sich in den Abgrund der Demut durch die Erkenntnis der eigenen
Schwäche.“ (Buch 1,4)[5]
Wenn man die Schatten von Gertrud betrachtet,
muss man auch die Art betrachten, in der der Herr sie tadelt und verbessert.
Unsere Arbeit erlaubt uns nicht, uns dabei lange aufzuhalten, aber es ist der Mühe wert, im Gesandten eine Konstante aufzudecken, die viel über den Eifer der pietas Dei für sie aussagt: Der Tadel
der Hauptdarstellerin geschieht immer durch eine Zunahme der Zärtlichkeit, und
Gertrud erkennt, dass „die Vorgangsweise für ihre Bekehrung viel wirksamer war
als die strenge Strafe, die sie verdient hätte.“ (Buch 2,2). Übrigens gibt sie
zu:
„Sooft ich, durch meine Bosheit angetrieben, das, was ich dir früher
geschenkt hatte, bei einer bestimmten Gelegenheit durch Leichtfertigkeit oder
im Affekt vernachlässigte, schien es mir so, als ob ich es dir aus dem Mund
gerissen und deinem Feind gegeben hätte. Bei all dem aber schienst du mich so
gütig und freundlich anzuschauen, als merktest du meine Unaufrichtigkeit nicht
und würdest das für eine Liebkosung halten. Und dadurch hast du mein Herz so oft
danach zu inniger Betroffenheit und Liebe bewegt, dass ich nicht glaube, dass
du mich durch irgendwelche erschreckende Drohungen zu dieser großen
Bereitschaft hättest bewegen können, mich zu bessern und künftig achtsamer zu
sein.“ (Buch 2,13)
Die Erfahrung ihrer Bosheit und ihres Nichts
führt Gertrud im Licht Gottes dazu, etwas zur Sprache zu bringen, was man
allgemein als etwas überaus Originelles bei ihr ansieht: die suppletio (d.h. die Ergänzung ihres
Mangels durch die Verdienste Christi). „Sie ist eine der Früchte ihre
geistlichen Bildung in der Schule der Liturgie“, schreibt C. Vaggaggini, der in
dieser suppletio die Verbindung
zwischen asketischem Streben und der Erfahrung der Gnade sieht.
„Diese Übung bestand darin, an die
Verdienste Christi zu denken, an seine Leiden, an die Sehnsucht und die Gebete
seiner heiligen Menschheit, um sich mit ihnen zu vereinen und sie dem Vater darzubringen, damit sie ihre Unwürdigkeit,
ihre Nachlässigkeit, ihre Fehler und Sünden ersetzen mögen. In ähnlicher Weise
stützte sie sich auch auf die Verdienste der Gottesmutter und der Heiligen.
Diese Praxis erlaubte ihr,
gleichzeitig ein klares Bewusstsein ihrer Unwürdigkeit und des geringen Wertes
ihrer asketischen Übungen zu haben und sich Gott dennoch seelenruhig zuzuwenden,
um ihm in der Liturgie zu begegnen. In all dem findet sich nicht eine Spur von
Jansenismus, Pelagianismus oder Voluntarismus. Doch indem sie ebenso den
Laxismus und den Quietismus meidet, war ihr die Macht der Gnade sehr klar
bewusst, ebenso die Ergänzung, mit der
Christus dem armseligen Streben der Menschen zu Hilfe kommt, die durch
aufrichtigen guten Willen und ein reines Herz mit ihm verbunden sind.“[6]
Im Bewusstsein ihrer Niedrigkeit und im
Vertrauen auf die unendliche Großzügigkeit der pietas Dei wird Gertrud zur Frau mit dem freien Herzen, wie uns das
1. Buch zeigt. Auch die Darstellung ihrer Tugenden würde eine lange
Beschäftigung mit ihnen verlangen, denn diese entspringt der allgemeinen
hagiographischen Tradition des Mittelalters. In einem früheren Vortrag haben
wir das Vertrauen (die confidentia)
genannt, die als erster Stern auf dem Himmel der Heiligkeit erstrahlt. Fügen
wir hier die „Freiheit des Herzens“ (die libertas
cordis) hinzu, über die sich der Herr auf überraschende Weise ausgesprochen
hat:
„In ihr leuchtete so große Freiheit
des Geistes, dass sie überhaupt nichts,
was irgendwie nicht ihrem Gewissen entsprach, auch nur eine kurze Weile
ertragen konnte. Das bezeugte der Herr selbst, indem er einem gläubigen
Menschen, der ihn im Gebet befragte, was ihm an der Heiligen am meisten
gefiele, antwortete: ‚Die Freiheit des
Herzens.’ Der Fragende war darüber sehr erstaunt, denn er hielt es für zu
gering, und er sprach: ‚Herr, ich glaubte, dass deine Gnade sie bereits zu
großer geistlicher Erkenntnis und einer glühenden Liebe geführt hat.’ Und der
Herr antwortete: ‚Es ist auch so, wie du glaubst, doch geschah dies kraft der
Gnade der Freiheit. Sie ist ein so hohes Gut, dass durch sie die höchste
Vollkommenheit völlig erreicht wird. Sie ist auf diese Weise nämlich in jedem
Augenblick ganz verfügbar für mein Gnadenwirken und lässt niemals zu, dass sich
etwas in ihrem Herzen einnistet, was mich behindern könnte.“ (Buch 1,11)
Gertrud ist sich nicht nur ihrer dunkeln Seite
bewusst, sondern sie weiß auch um ihre helle Seite und ihre Sendung, „die Völker zu erleuchten“. Sie hat ihren
Platz so genau an der Grenze dieser beiden Seiten, dass sie dadurch gleichzeitig
vor Mutlosigkeit und Anmaßung geschützt ist. Beweis dafür ist ihre Art und
Weise, zum Argument ihrer Kleinheit ihre Zuflucht zu nehmen, um ihren Platz vor
Gott und den Menschen einzunehmen. Verstehen wir sie recht: Es handelt sich
hier nicht um das Gefühl der Niedrigkeit, das an die Erfahrung ihrer Fehler und
Sünden gebunden ist, sondern um das ihrer Kleinheit, das zwar von der anderen
nicht zu trennen ist, sich aber dennoch radikal von ihm unterscheidet, da es an
sich nicht an die Sünde gebunden ist. Es handelt sich um das Gefühl, das aus
Ausrufen wie dem folgenden spricht:
„Welche Würde hat dieses winzige
Stäubchen, das jener größte Edelstein voll himmlischen Adels aus dem Schlamm
gezogen hat, um sich damit zu schmücken! Wie groß ist die Erhabenheit dieses
kleinen Blümchens, das der Strahl der Sonne selbst aus dem Sumpf wachsen ließ,
wie um es mit seinem eigenen Licht zu verbinden!“ (Buch 2,9)
Der Gesandte
und die Geistlichen Übungen sind
voll von Verkleinerungen, die wir zu Unrecht als bloße Stilmittel betrachten.
In ihnen drückt sich die Erfahrung aus, die Gertrud von den pietas Dei macht, wie bereits angemerkt
wurde: Als „winziges Tröpfchen“ der Güte Gottes will die Heilige verschwinden
im Ozean voller Liebe, von dem zu künden sie berufen ist.[7]
Die logische Folge dieser richtigen Empfindung
findet sich in ihrer Mitwirkung[8] bei der Aufführung des
Theaterstücks: Weit entfernt von Pelagianismus und von Laxismus versteht
Gertrud, dass sie ihre „Rolle“ im Verhältnis zu ihrer „Kleinheit“ sehen muss. Es ist das „ein Wenig“ des Evangeliums[9], in dem der unendlich Große in der
Kleinheit sein Bild und Gleichnis wiedererkennt. Der ganz Geringe kann nur geringfügig mitwirken, doch in Hinblick
auf den unendlich Großen ist diese „Geringfügigkeit“ das rechte Maß der
Mitwirkung mit dem Grenzenlosen. Ohne diese bewusste und zum Ausdruck gebrachte
„Kleinheit“ ist der unendlich Große wie gelähmt, und die göttliche Liebe (divina pietas) kann sich nicht
offenbaren. Dazu einige Beispiele:
1)
In
Hinblick auf die Armut wird Gertrud vom Herrn in ihrer Deutung von Mt 25,40
bestärkt:
„Ob sie schlief oder aß oder
irgendeine Annehmlichkeit empfing, immer freute sie sich, dies ganz dem Herrn
zuzuwenden; sie sah ihn in sich und sich in ihm gemäß der Vorschrift des Herrn:
Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir
getan.(Mt 25,40). Sie hielt sich wegen ihrer Unwürdigkeit für die Niedrigste
und Allergeringste der Kreaturen, und daher meinte sie, das, was sie für sich
verbrauchte, sei für einen der Geringsten des Herrn (minimo Dei) aufgewandt. Wie
die göttliche Güte dies aufnahm, wurde
ihr auf folgende Weise enthüllt: Einmal wollte sie, vom Leiden erschöpft, ihrem
Kopf etwas Erleichterung schaffen und nahm zur Ehre Gottes etwas Gewürzwein in
den Mund. Da neigte sich ihr der gütige Herr liebevoll zu, als wäre er vom
Geruch der Kräuter erfrischt worden. Nach einer Weile atmete er Wohlgeruch aus,
richtete sich auf und sagte mit heiterem Gesicht vor allen Heiligen, als wollte
er ein wenig prahlen: ‚Seht, was ich eben von meiner Braut Neues empfangen
habe.’ Unendlich mehr aber freute er sich, wenn sie irgendeinem ihrer Nächsten
eine Wohltat erwiesen hatte, genauso, wie sich ein Geizhals freut, wenn er
hundert Mark erhält.“ (Buch 1,11)
2) Zu ihrer „vollen, bewussten und aktiven Teilnahme“ an den liturgischen Feiern müsste man Buch 3,25 mit Aufmerksamkeit lesen. Gertrud war traurig, weil sie sah, dass ihre Schwäche sich als Hindernis erwies für ihre Sehnsucht, „alle Noten und Worte des Officiums gut auszusprechen“. Da verstand sie, dass sich das Herz Christi „das unendlich liebenswürdige Hilfsmittel der Dreifaltigkeit, dem ewige Anbetung gebührt“ neben ihr aufhielt „wie ein treuer Diener,...der aufmerksam auf den leisesten Wunsch seines Meisters achtet“. Und der Herr fügt hinzu:
„...Mein göttliches Herz, das alle
Schwachheit und Unbeständigkeit des Menschenherzens genau kennt, wartet mit
unendlichem Verlangen darauf, dass du ihm, wenn nicht durch Worte, dann durch
ein Zeichen (si non verbis, saltem aliquo
nutu) all das zur Vollendung überlässt, was zu vollbringen dir die Kräfte
fehlen (committas sibi supplendum pro te
ac perficiendum quidquid per te minus perficere potes).“ (Buch 3,25)
3) Bezüglich der Buße ist uns ein
schönes Beispiel der „Zusammenarbeit bei der Aufführung“ in Buch 4,7
überliefert: Gertrud fürchtet, die lange Bußzeit, die der Herr ihr auferlegt,
das eine oder andere Mal nur nachlässig zu halten. Sie hört den Herrn sagen:
„ Warum möchtest du das
vernachlässigen, was du so leicht vollbringen kannst? Meine Güte ist schon zufriedengestellt, wenn du auch nur einen
Schritt in dieser Absicht unternimmst, einen Strohhalm von der Erde aufhebst,
ein einziges Wort sprichst, eine Geste der Liebe vollbringst, oder z.B. Requiem aeternam für die Verstorbenen oder irgendein anderes Gebet
für die Sünder oder auch für die Gerechten darbringst.“ (Buch 4,7)
Ein wenig weiter sagt sie mit den
Worten von Gen 8,21 voll Skepsis über die Fähigkeit des Menschen, das Gute zu
tun: „...das Herz des Menschen ist zum Bösen geneigt, sodass er in jeder Stunde
vielfach sündigt“. Und der Herr antwortet ihr:
„Warum erscheint dir das so
schwierig? Wenn ein Mensch auch nur ein bisschen Mühe aufwenden will, werde ich
dadurch so erfreut, dass ich, der allmächtige Gott, ihm helfen will; und so
muss meine göttliche Weisheit siegen.“ (Buch 4,7)
4) Bei der Vorbereitung auf die Kommunion wünschte sie eines Tages für andere die selbe Gnade zu erlangen, die sie selbst empfangen hatte. Der Herr sagte ihr: „Ich gewähre sie ihnen, doch ich lasse ihr Herz frei, sich damit zu schmücken.“ Und als Gertrud fragt, was man denn tun müsse, um diese Gnade zu empfangen, entgegnete ihr der Herr:
„ Zu welcher Stunde von nun an sie sich mit reinem Herzen und aufrichtigem Willen zu mir wenden und meine Gnade anrufen, wenn auch nur mit einem Wort oder einem Seufzer, werden sie in dem Schmuck erscheinen, den du für sie in deinen Gebeten erbatest.“ (Buch 3,34)
5) Bezüglich der Danksagung wollen wir die ersten Zeilen von Buch 2,11 zitieren, die durch ihre theologische Exaktheit bemerkenswert sind[10]. Ihr eucharistischer Zusammenhang soll als Vorbemerkung zu den weiteren Ausführungen dienen:
„Du hast mich oft mit deiner Gegenwart erfreut und bist durch deine große Milde mir in meiner Armseligkeit ohne Unterlass zu Hilfe gekommen, ganz besonders in den ersten drei Jahren. Du warst mir nahe, immer wenn ich zur heiligen Kommunion zugelassen wurde, aber ich könnte dir nicht ein Tausendstel davon vergelten, um dir zu danken. Deshalb überlasse ich mich deiner ewigen, unermesslichen und unveränderlichen Danksagung, du strahlende und ewig ruhende Dreifaltigkeit. In ihr wird dir aus dir, durch dich und in dir alle Schuld gänzlich bezahlt. Wie ein winziges Stäubchen vereinige ich mich mit ihr. Durch ihn, der in meiner Natur vor dir steht, bringe ich dir im Heiligen Geist die Danksagung dar, die du mir möglich gemacht hast, für alle deine Wohltaten...“ (Buch 2,11)
Man
könnte noch viele Beispiele hinzufügen. Die Atmosphäre des Gesandten ist von dieser Anmut der pietas ganz geprägt, die keine andere Teilhabe sucht als die eines
Lebens in der „Kleinheit“, und keine anderen Taten als die einer Antwort, die
im Verhältnis zu dieser Kleinheit steht. Welch wunderbarer Tausch der Gnade, wo
der „geringste“ den besten Platz einnimmt, um mit dem Unendlichen
„zusammenzuarbeiten“ und so die Erfahrung der Zärtlichkeit Gottes zu machen[11].
[1] Der Begriff „Hauptdarsteller“ ist dem soziologischen Vokabular von
Erving GOFFMAN entnommen, der schreibt: „Wenn man einen Handlungsablauf untersucht,
dessen Vollzug mehrere Mitspieler braucht, merkt man oft, dass ein Spieler zum
Hauptdarsteller wird und im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Ein Beispiel
davon kann man darin sehen, wenn im traditionellen Hofleben ein Saal voller
Höflinge so angeordnet wird, dass das Auge wie bei einem lebendigen Bild zwar
von einem beliebigen Punkt des Saales ausgehen kann, jedoch zum Zentrum der
Aufmerksamkeit, dem König, hingelenkt wird. Der königliche Hauptdarsteller kann
auch auffallender gekleidet sein oder höher sitzen als alle anderen Personen.“
Mit dieser Beobachtung verbindet Goffman die Feststellung, dass diese Art des Hofes im sozialen Leben
bei den streng zeremoniellen Rollen und der Darstellung des Prestiges wichtig
ist. Vgl. la mise en scène de la vie quotidienne I, 99-102.
[2] D. BERTRAND, unveröffentlichter Vortrag in Cîteaux am 17.11.1988 anlässlich der Veröffentlichung von Werken des
hl. Bernhard in den
Sources Chrétiennes.
[3] Leonardo BOFF, Francois d’’Assise, Paris 1986, 173-200.
[4] Auch der spielerische Aspekt des Gesandten wäre einer Untersuchung wert. Vgl. Buch 1,10 und Buch 4,2.
[5] SC 139, 39-40.
[6] C. VAGAGGINI, a.a.O. 220
[7] Zum Gefühl der Kleinheit vgl. Buch 1,11 und 2,18.
[8] Gertrud verwendet gerne den Begriff cooperatio, um ihre aktive Mitarbeit mit dem Herrn darzustellen. Vgl. SC 127, 106,n.6 und 152,n.4.
[9] Mk 9,41; Lk 19,17; Joh 6,9.
[10] Im selben Sinn finden sich Stellen bei den Geistlichen Übungen Nr.6. (SC 127, 6, 179-197.274-285.372-379)
[11] Es scheint, dass die bisherigen Studien über die theologische Lehre der hl. Therese vom Kinde Jesu noch nicht genügend ihre Beziehung zu den Nonnen von Helfta ins Licht gestellt haben, besonders zur heiligen Gertrud. Therese aber bezieht sich ausdrücklich auf sie, um eine Handlung zu rechtfertigen, die im Sinn von Buch 1,11 liegt. (Vgl. Therese von Lisieux, Letzte Gespräche). Das ist der Beweis dafür, dass sie den Gesandten gelesen hat, zumindest ausgewählte Stellen aus ihm. Die Dialektik zwischen der „äußersten Kleinheit und unendlichen Größe“, in der sich Therese gefällt, hatte also schon sechs Jahrhunderte früher eine Vertreterin in der heiligen Gertrud von Helfta (Vgl. dazu F.-M. LETHEL, Connaitre l’amour du Christ qui surpasse toute connaissance, Venasque, Ed. Du Carmel 1989, 492 – 513).