Teil II

Das ägyptische Mönchtum

            Im ersten Teil stellten wir, bei der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes des II. Vatikanums anknüpfend, einige Vorüberlegungen an: Was sollen wir überhaupt unter „Kultur“ verstehen? In diesem zweiten Beitrag fragen wir nach dem Ursprung des Mönchtums, betrachten seine Anfänge in ihrem kulturellen Kontext und seine Auswirkungen auf die Kultur, seine „kulturstiftenden“ Lebensformen.

            Jeder Mensch wird von der Kultur geformt, in der er aufwächst. Jede Kultur führt ihre Mitglieder zu einem konkreten Typ allgemein menschlicher und geistig-geistlicher Erfahrung, und jede persönliche Erfahrung ist mit bestimmt vom kulturellen Kontext, in dem sie sich ereignet. Dies ist eine Konsequenz der menschlichen Verfassung und Bedingtheit. Im ersten Teil sprachen wir bereits von den drei Ebenen Erfahrung - Gedächtnis der Erfahrung - Deutung der Erfahrung. Es leuchtet ein, daß auch die Art und Weise, wie eine Erfahrung aufgenommen, im Gedächtnis gespeichert und erinnernd gedeutet wird, abhängig ist von den Denk- und Deute-Mustern der gesellschaftlichen Umgebung.

1. Wie entstand die erste mönchische Kultur?

            Wenn die vorherrschende Kultur eines Volkes oder einer religiösen Gruppe die Suche nach einem bestimmten Typ von Erfahrung nicht mehr „erlaubt“, erscheinen kulturelle Untergruppierungen, „Subkulturen“. Sie bilden sich, weil die ihr angehörenden Menschen ausdrücklich auf der Suche nach dieser anderen Erfahrung sind. Und dasselbe geschieht, wenn eine bestimmte Gruppe in einer Kultur einen Typ von Erfahrung kultivieren möchte, der über das hinausgeht, was die allgemeine Kultur nährt oder begünstigt: es entsteht eine neue Subkultur. So erscheint auch das Phänomen des Mönch­tums in fast allen geistlichen Traditionen der Menschheit an einem gewissen Punkt: im allgemeinen in einer Epoche großer gesellschaftlicher und kultureller Umbrüche.

            Das Christentum hat seine Wurzeln in der Kultur Israels. Schon im Herzen des späten Judentums gab es eine starke asketische Bewegung, die auf die kontemplative Begegnung mit Gott ausgerichtet war. Diese Bewegung hatte einen beachtlichen Einfluß auf die gesamte Urkirche. Daher konnten Angehörige der ersten christlichen Generation, die sich berufen fühlten, sich intensiver der Suche nach Gotteserfahrung zu widmen, dies innerhalb der örtlichen Gemeinden unter der Leitung ihrer Hirten tun. Allerdings vereinigten sie sich bald zu verschiedenen Arten von Bruderschaften, jedoch immer unter der Leitung des Bischofs. Dies war etwa in Kleinasien mit den Söhnen und Töchtern des Bundes der Fall, von denen Aphrahat [1] und Ephrem [2] sprechen. Einige andere Christen, die in ihrem geistlichen Weg schon gereift und erwachsen geworden waren, verließen dieses Milieu der innergemeindlichen Askese, um in der Wüste ihren weiteren geistlichen Fortschritt zu suchen.

            In dem Maß, in dem sich die Strukturen der Kirche entwickelten und es für manche Christen schwieriger wurde, eine Harmonie zwischen diesen Strukturen und ihrer persönlichen geistlichen Erfahrung zu finden, trat das eigentliche Phänomen des Mönchtums immer klarer hervor. Im Verlauf des vierten Jahrhunderts breiteten sich die Mönche mit der Geschwindigkeit einer Kettenexplosion aus. Die Erscheinungsweise des Mönchtums entwickelte sich in zwei Richtungen: eine große Anzahl von Christen ging in die Wüste, um dort in der Einsamkeit ihre geistliche Erfahrung zu leben, getrennt von der sie umgebenden christlichen Kultur, nur unter der Leitung eines charismatisch begabten geistlichen Vaters. Andere aber sammelten sich in Gemeinschaften, die, zwar am Rande der großen kirchlichen Gemeinde, aber nicht getrennt von ihr, eine echte Subkultur schufen, die zum Nährboden eines bestimmten Typs geistlicher Erfahrung und geistlicher Lebensform werden sollte.

Das anachoretische Leben

            Paulus (der nach dem heiligen Hieronymus der erste Einsiedler überhaupt war) und Antonius (der von Athanasius in der Lebensbeschreibung als das Beispiel schlechthin für die Vortrefflichkeit des anachoretischen Lebens geschildert wurde) gingen allein in die Wüste. Aber die Erfahrung zeigte schnell: wenn man das schwierige Leben in der Wüste auf sich nehmen wollte, stellte man sich besser zunächst unter die Leitung eines Mönches, der damit schon Erfahrungen gesammelt hatte (wie es auch Antonius tat).

            Der einsame Weg in der Wüste ist schwer, gefährlich, grauenhaft... Auf diesem Weg kann man sich finden, aber auch verlieren. Die wahren Sucher erkennen spontan jenen, der sich gefunden hat, der durch diesen Weg zur geistlichen Reife gelangt ist, weil er zum pneumatophorus , zum Geistträger geworden ist. Sie gehen in seine Schule. Sie lassen sich von ihm belehren. Von ihm erwarten sie, daß er sie teilhaben läßt an seiner eigenen Erfahrung. So entsteht eine besondere Beziehung zwischen dem Wüstenvater und seinem geistlichen Schüler. Es ist die gleiche Beziehung, wie sie im Hinduismus zwischen dem Guru und seinem Jünger besteht. Dieser geistliche Vater teilt, wie der Guru, seine geistliche Erfahrung mit den Jüngeren. Die Beziehung zwischen dem Jünger und dem geistlichen Vater ist provisorisch, nicht auf Dauer angelegt ... Der Vater muß zufrieden sein, wenn die Jünger wieder fortgehen, denn das heißt, daß sie zur geistlichen Reife gelangt sind. Es ist auch eine freie Beziehung: man kann weggehen und sich einen anderen geistlichen Vater suchen.

Das koinobitische Leben

            In jedem mönchischen Milieu der Frühzeit, das wir kennen, gibt es diese Erscheinung des Einsiedlertums, aber auch die des gemeinsamen Lebens, des Koinobitentums. [3] Ein geistlicher Vater kann eine große Zahl von Jüngern haben, ohne daß diese ein gemeinsames Leben führen und ein Koinobion bilden: es ist eine Kolonie von Einsiedlern. Das Koinobitentum entsteht erst da, wo jemand eine gemeinsame Regel aufstellt, eine Lebensform institutionalisiert, eine Einrichtung schafft zu dem Zweck, eine bestimmte Erfahrung lebendig zu erhalten und weiterzugeben. Diese Einrichtung soll alle Mitglieder der Gruppe dazu formen, diese besondere Erfahrung zu leben. Mit anderen Worten: das Koi­nobitentum entsteht, wenn ein Meister eine strukturierte Lebensform anbietet, die seine Erfahrung verkörpert, und wenn eine Gruppe in dieser Lebensform einen Faktor persönlicher Identität findet. So entsteht eine mönchische Kultur (oder Subkultur).

            Die koinobitischen Mönchsgemeinschaften sind im allgemeinen entstanden aus dem persönlichen Charisma eines großen Mönchs und seiner besonderen Gabe, Menschen um sich zu sammeln. Dies war augenscheinlich bei Pachomius der Fall. Vom Augenblick seiner Bekehrung zum Christentum an begann er zu suchen, was der Wille Gottes für ihn sei. Und langsam entdeckte er, durch die Ereignisse und durch das Wort Gottes, daß es seine Aufgabe war, Menschen um sich zu sammeln, um sie zu Gott zu führen. Dies war auch bei Basilius der Fall, der die Gläubigen seiner Bischofsstadt, die durch die Unterweisung des Eustatius von Sebaste bereits für die Askese aufgeschlossen waren, schrittweise organisierte.

            Im Koinobitentum übernahm die politeia oder die conversatio, die festgelegte Lebensweise, die Rolle, die in der Wüste der geistliche Vater gespielt hatte. Diese Lebensweise ist eine wirkliche Kultur. In Beziehung zur christlichen Kultur allgemein könnte man sie als eine Subkultur betrachten. Am Anfang der conversatio und in ihrem Zentrum steht eine besondere Form der christlichen Erfahrung; diese wird durch Einrichtungen geschützt, durch Auslegungen gelehrt und weitervermittelt. Das Eigencharisma des Gründers einer Kommunität, der eine Lebensform festsetzte als das Milieu, das die persönliche Entwicklung einer großen Zahl von Mönchen begünstigen sollte, war sehr verschieden von dem eines geistlichen Vaters in der Wüste; dieser behielt in der Einsamkeit die Rolle des didaskalos, des Lehrers, bei. Der Gründer aber verschwand im Lauf der Zeit hinter der institutionalisierten Lebensform. In einer solchen koinobitischen Mönchsgemeinschaft fand der einzelne - jedenfalls während der ersten Generation, solange die Subkultur der gelebten Erfahrung ganz entsprach - normalerweise schon dadurch, daß er sich in die Gemeinschaft integrierte, den Weg zur Entdeckung seiner persönlichen geistlichen Identität.

Mythen von der Entstehung des christlichen Mönchtums

            Der Mythos, Ägypten sei die Wiege des christlichen Mönchtums gewesen und von dort habe es sich zuerst in allen Ländern des Orient, daraufhin im Abendland ausgebreitet, kann heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Es ist offenbar geworden, daß das Mönchtum ungefähr gleichzeitig unter sehr verschiedenen Formen und aus der Vitalität der einzelnen Ortskirchen im Morgen- wie im Abendland aufblühte. Das klassische Schema: Antonius und einige andere Einsiedler seien in die Wüste geflohen, ehe Pachomius das Zönobitenleben erfunden hatte, um den Nachteilen des Eremitenlebens abzuhelfen, trifft keineswegs auf die Wirklichkeit zu, wie sie in öffentlichen Dokumenten zutage tritt. In diesen entdeckt man vielmehr, daß die ersten Anzeichen des Mönchtums gleichzeitig schon alle seine verschiedenen Formen aufweisen: gemeinsames und eremitisches Leben, Mönchtum in der Wüste und Mönchtum in der Stadt, usw.

            Ein anderer Mythos, der ebensowenig vor der historischen Kritik bestehen kann - selbst wenn er weiterhin zählebig ist -, besagt, das Mönchtum sei erst nach dem Edikt Kaiser Konstantins oder allenfalls nach der Zeit der Verfolgungen entstanden. Einesteils hätten eifrige Christen, die jetzt nicht mehr zum Martyrium gelangen konnten, dasselbe durch die Askese erreichen wollen, und andernteils hätten sie sich als Reaktion auf eine durch gesellschaftliche Akzeptanz lau werdende Kirche in die Wüste zurückgezogen, um die Radikalität der Nachfolge Christi zu bewahren. Eine solche Sicht der Dinge läßt sich weder aus den geschichtlichen Dokumenten noch aus der Wirklichkeit begründen. Die historischen Belege beschreiben vielmehr die rasche Ausbreitung des Mönchtums als eine Frucht des Eifers der Kirche und als Ergebnis des mutigen Zeugnisses der Märtyrer.

Wurzeln in asketischen und mystischen Strömungen

            Zur Zeit Jesu Christi gab es im ganzen heutigen Mittleren Osten eine asketische und mystische Strömung, besonders ausgeprägt im späten Judentum. Johannes der Täufer gehörte durch seinen Lebensstil und seine Predigttätigkeit ganz klar dieser Strömung an, unabhängig davon, ob er zur Sekte der Essener gehört hat oder nicht. Indem er sich von Johannes taufen ließ, hat Jesus diese Bewegung übernommen - eine Geste, deren wesentliche Bedeutung man nicht genügend unterstreichen kann. Aber indem er sie übernahm, hat er ihr selbstverständlich einen grundlegend neuen Sinn gegeben. Jesus selbst lebte mit seinen Jüngern eine Form gemeinschaftlichen Lebens. Auch darin hatte er mehr  mit der Tradition der Johannesjünger gemein als mit den Lebensgemeinschaften der Rabbinen mit ihren Schülern oder mit den Traditionen der alttestamentlichen Propheten.

            Deswegen bezeichnet der Ausdruck vita apostolica in der mönchischen Literatur vor allem dieses Leben der Apostel mit Jesus. Jesus stellte denjenigen, die ihm folgen wollten, außerordentlich radikale Forderungen! Als nach seinem Tod gewisse Christen ein Leben entsprechend Jesu radikalem Ruf zur Ehelosigkeit, zum totalen Verzicht, zur Armut usw. für immer auf sich nehmen wollten, hatten sie nicht nur das persönliche Beispiel Jesu vor Augen, sondern sie fanden auch in zeitgenössischen Formen der Askese sowie im mönchischen Archetypus im Seelengrund entsprechende Strukturen menschlicher Ausdrucksweisen vor.

            Sehr früh entwickelte sich daher eine außerordentlich radikale christliche Askese, besonders in den judenchristlichen Kirchen. Diese waren empfänglicher für den Radikalismus des Lukasevangeliums und für die umwandelnde Kraft der „Taufe im Heiligen Geist“ als die paulinischen Gemeinden. In diesen örtlichen judenchristlichen Kirchen lebte zu gewissen Zeiten die gesamte Gemeinde eine „mönchische“ Existenzweise. Erst nach und nach wurde man sich innerhalb der kirchlichen Gemeinden bewußt, daß nicht alle Christen auf den selben Weg der Christusnachfolge gerufen waren, und es zeichnete sich ein mönchischer Weg ab, der sich von dem der anderen Gläubigen unterschied.

Christusnachfolge und Gnosis

            Wenn man die Schriften christlicher Mönche des vierten Jahrhunderts liest, wird es klar, daß sie in die Wüste gingen oder sich zu städtischen (basilianischen) Bruderschaften zusammenschlossen, um Christus nachzufolgen und sich unter dem Wirken des Heiligen Geistes umformen zu lassen zum Bild Christi. Man kann jedoch nicht ignorieren, daß sie - nach dem Gesetz der Inkarnation - für die Verwirklichung ihres Vorhabens konditioniert waren durch das religiöse und gesellschaftlich-kulturelle Milieu, in dem sie sich bewegten. Mit anderen Worten, für die Verkörperung ihrer Ideale griffen sie selbstverständlich auf zeitbedingte Vorgaben und Muster zurück.

            Die Gemeinschaften der Therapeuten und der Essener, deren Anwesenheit in Ägypten Philo von Alexandrien erwähnt, hatten genügend mit den christlichen Kommunitäten gemein, so daß der Kirchenhistoriker Sokrates Scholastikos, der ein Jahrhundert später sein Werk verfaßte [4] , sich täuschen ließ und sie fälschlicherweise als christliche Gruppierungen betrachtete. Gewiß gab es Kontakte und gegenseitige Beeinflussung zwischen diesen verschiedenen Gruppen und den christlichen Gemeinden. Der Irrtum bestünde darin, eine Abhängigkeit oder eine geschichtliche Kontinuität zwischen ihnen anzunehmen. Es läßt sich, um noch bei Ägypten zu bleiben, auch nicht bestreiten, daß dort am Ende des dritten Jahrhunderts, kurz vor der starken Ausbreitung des Mönchtums, die Gnosis sehr verbreitet war, jene buntscheckige Bewegung, die neben Irrwegen auch einen großen Durst nach geistlicher Erfahrung zum Ausdruck brachte. Doch genügt es nicht zu sagen, daß das christliche Mönchtum seinen Ursprung nicht der Gnosis verdankt - was offensichtlich ist. Vielmehr zeichnet sich in Wirklichkeit das Bild einer großen spirituellen Bewegung ab, die sich im Lauf dieser ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung inner- und außerhalb des Christentums entwickelt hat. Sie weist sowohl erhebende Aspekte als auch Verirrungen auf. Zwischen den verschiedenen Strömungen, aus denen sie besteht, gibt es gegenseitige Einflüsse in alle Richtungen: Gruppierungen nichtchristlicher Herkunft erfahren manchmal einen starken Einfluß von Seiten des Christentums, während gewisse christliche Strömungen fremden Einflüssen unterworfen sind, die sie zu Häresien werden lassen. Die Unterscheidung geschieht nach und nach innerhalb der Kirche, durch den Prüfstein des Lebens und der Erfahrung, sowie durch den sensus fidei, den Glaubenssinn des christlichen Volkes, bis schließlich die neue Lage der Kirche in der konstantinischen Ära es erlaubt, Synoden abzuhalten, auf denen die Bischöfe mit der nötigen Autorität ausgestattet sind, eine klare Gren­ze zwischen dem rechten Glauben und dem Irrglauben zu ziehen.

            Als sich schließlich eine besser strukturierte und anerkannte christliche Lebensform abzeichnet, welche zwar die den Einsiedlern aller Zeiten und aller Überlieferungen gemeinsamen äußeren Ausdrucksformen benutzt, aber zugleich eine spirituelle Suche ausdrückt, die im Evangelium wurzelt und unter der Leitung des Heiligen Geistes vor sich geht, da beginnt man, vom „Mönchtum“ zu sprechen... Es ist also das Endergebnis einer langen Entwicklung, dessen, was man heute „Inkulturation“ nennen würde. Das christliche Mönchtum ist so die erste - und vielleicht die am besten gelungene - aller Formen der Inkulturation. Das heißt: in ihr ist die Frohbotschaft vom vollkommenen Leben nach dem Evangelium der asketischen Tradition mehrerer Jahrhunderte begegnet, welche die tiefsten Sehnsüchte der menschlichen Seele, die nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist, ausdrückte. In dieser Begegnung - verwurzelt in einem menschlichen Archetypus - wurde diese menschliche Tradition bereichert, befruchtet. Sie fand darin ihren letzten Sinn. Außerdem wurde aber auch die christliche Botschaft angereichert durch eine besondere Ausdruckform, eben die Askese. Diese Begegnung und diese gegenseitige Bereicherung machen das Wesen der Inkulturation aus.

2. Das ägyptische Mönchtum und seine kulturelle Verwurzelung

            Während der gesamten Geschichte des Mönchtums kann man feststellen, daß alle großen Gründungen und alle großen Erneuerungen zu Zeiten tiefer kultureller Umbrüche geschehen. Zugleich ist aber bemerkenswert, daß es dabei oft das Eingreifen oder Tun eines Menschen ist, der mit dem Mönch­tum oder selbst mit dem Christentum überhaupt nichts zu tun hat, das eine solche Entwicklung möglich macht.

Der kulturelle Kontext des ägyptischen Mönchtums

            In der von Athanasius verfaßten Lebensbeschreibung des Antonius sehen wir, daß dieser nach seiner Entscheidung, alles zu verlassen und ein asketisches Leben zu beginnen, sich sofort auf die Suche nach älteren Mönchen machte, die bereits ein solches Leben in der nahe gelegenen Wüste führten. Später wurde er selbst der berühmteste dieser charismatischen geistlichen Väter. Schon wenige Jahre später bevölkern viele Mönche die Wüste westlich von Alexandrien, unter der Leitung zahlreicher geistlicher Väter.

Die antiken Schulen

            War die Funktion des geistlichen Vaters in der Wüste eine originelle Erfindung des frühen Mönch­tums - oder gab es in der religiösen Kultur jener Zeit und Gegend Vorbilder? Tatsächlich hatte diese Praxis viel gemein mit einer bestimmten Tradition in der frühen Kirche, und zwar besonders in der Kirche von Alexandrien, nämlich mit der Tradition des didáskalos, des „Lehrers“ und der didaskalía, der „Schule“. Die Rolle des geistlichen Vaters in der Wüste ist analog zu der Funktion des „Lehrers“ in der Urkirche zu sehen. Paulus erwähnt in seinen Briefen diese Lehrer in einem Atemzug mit den Aposteln, Propheten, Evangelisten und Hirten. Auch in anderen Schriften des frühen Christentums sind sie zu finden. Während sie zu Beginn ihre Funktion kraft eines persönlichen Charismas ausübten, hatten sie später, gegen Ende des zweiten und im dritten Jahrhundert, eine offizielle Stellung der Unterweisung in der Kirche inne und bereiten die Katechumenen auf die Taufe vor.

            Die Schule von Antiochien war die berühmteste der Antike. Pantene und Klemens, zwei Laien, übernahmen deren Leitung in persönlicher Verantwortung, wie Justin es in Rom getan hatte. Origenes aber, der Nachfolger Klemens' in Antiochien, wurde von Bischof Demetrius offiziell als Leiter der Schule eingesetzt mit der Aufgabe, die Katechumenen zur Taufe vorzubereiten. Dieser Stil der Ausbildung war allen philosophischen Zentren des Ostens gemeinsam, sowohl den griechischen philosophischen Kreisen (Platoniker, Epikureer, Stoa) als auch der hermetischen Tradition Ägyptens.

            Für uns, die wir in den Schulen von einem Lehrer zum anderen gehen, von einer Klasse zur anderen und auch von einer Schule zur nächsten, ist es schwierig, uns in die Intensität der Beziehungen hineinzudenken, die in der heidnischen und auch noch in der christlichen Antike zwischen einem Lehrer und der Gruppe seiner Schüler, die mit ihm zusammenlebten, herrschte. Die gesamte christliche Kultur der ersten Jahrhunderte hat sich in solchen kleinen Gruppen und Lebensgemeinschaften entwickelt. Die persönliche Begegnung mit einem geistlichen Lehrer galt vielen als ein wesentliches Mittel zum den geistlichen Fortschritt. Bedeutende Persönlichkeiten unternahmen lange Reisen, manchmal nur zu dem Zweck, solchen Lehrern zu begegnen [5] Der Kirchengeschichtler Eusebius erzählt von einem Bischof, der regelmäßig von Kappadokien nach Palästina reiste, um zu Füßen des Origenes sein geistliches Leben zu vertiefen.

Origenes

            In diesen „Schulen“ betraf die Unterweisung das gesamte Leben. Sie bestand nicht einfach in einem intellektuellen Unterricht, sondern schloß auch die Reinigung der Sitten und die Läuterung des Herzens ein. Es scheint, daß Origenes mit seinen Kollegen und Schülern ein Leben geführt hat, das einen fast mönchischen Charakter trug: ganz ausgerichtet auf das gemeinsame Lesen des Wortes Gottes.

            Auch wenn Origenes kein Mönch im eigentlichen Sinne war, so hat er doch einen enormen Einfluß auf das werdende Mönchtum ausgeübt. Er stammte aus einer christlichen Familie. Um das Jahr 200 starb sein Vater als Martyrer, gemeinsam mit einer Gruppe alexandrinischer Christen. Origenes war der Älteste einer Familie von sieben Kindern, und seine Mutter mußte seine Kleider verstecken, damit nicht auch er zum Martyrium eile! Man übergab ihm also die Leitung des didaskalion, als er 18 Jahre alt war. Während einer neuen Verfolgungswelle ermutigt er öffentlich die Märtyrer, während der gesamte Klerus von Alexandrien sich versteckt hält. In die sonstigen Angelegenheiten der Gesellschaft seiner Zeit mischt er sich nicht ein und betrachtet sich vor allem als ein Exeget. Sein ganzes Leben verbringt er im Studium, in der Meditation und im Unterrichten des Wortes Gottes.

            Origenes benutzt die Philosophie, aber in Freiheit. Er war nicht, wie etwa Justin oder Klemens von Alexandrien, von der Philosophie zum christlichen Glauben bekehrt worden, sondern studierte im Gegenteil die Philosophie als ein Christ - vergleichbar den Israeliten, die die Ägypter ausplünderten, ehe sie wegzogen! Generationen von Mönchen haben ihn als einen geistlichen Lehrer anerkannt, ungeachtet der Tatsache, daß manche seiner Lehren im nachhinein verworfen wurden.

            Als später Hunderte und bald Tausende von Männern und Frauen in die Wüste zogen, um bei einem charismatischen Vater geistliche Führung zu finden, suchten sie genau das, was Origenes und andere didaskaloi in der Stadt angeboten hatten. Die Glaubens- und Lebensschule didaskalía wurde also in die Wüste verlegt. In dieser Hinsicht stellt die Ankunft des Evagrius in der Wüste im Jahre 383 ein Datum von herausragender Bedeutung dar.

Pachomius

            Das Mönchtum in Nieder-Ägypten war in mancherlei Hinsicht eng mit Alexandrien verbunden, der großen Metropole, wo sich alle Kulturen trafen, besonders diejenigen griechischer Sprache, und wo es eine jüdische Kolonie und auch eine starke christliche Gemeinde gab. Antonius, der Hauptvertreter des niederägyptischen Mönchtums, stammte aus einer christlichen Familie. Seine Berufung empfing er während der Liturgie. Im Milieu Niederägyptens mußte man sich von der Stadt entfernen, um  Einsamkeit zu finden. Man versetzt die Elemente der örtlichen christlichen Kultur in die Wüste und paßt sie deren Gegebenheiten an.

            Bei Pachomius dagegen lagen die Dinge ganz anders. Ober-Ägypten ist eine abgelegene Provinz, die tief koptisch geblieben ist, wo das Christentum nur eine schwache Minderheit darstellt und  die griechische Sprache fast unbekannt ist. Es gibt nur wenige bedeutende Städte, stattdessen aber  Kolonien von Bauern den ganzen Nil entlang. Diese sind oft durch Steuern schwer belastet. Man kannte dort auch bereits eine gesellschaftlich und politisch anerkannte Form des Einsiedlertums.

            Ganz kurz vor der Zeit des Pachomius führte Diokletian, der von 284 bis 305 als Kaiser regierte, eine wichtige Militär- und Verwaltungsreform durch. In der Vergangenheit war Ober-Ägypten bekannt gewesen für seine Neigung, sich gegen die römische Besatzungsmacht aufzulehnen. Diokletian besaß die Klugheit, Ägypten eine besondere Verwaltungsstruktur zu geben, die sich von  der des übrigen römischen Reiches unterschied. Sie vereinte eine große Selbständigkeit der verschiedenen örtlichen Verwaltungen mit einer starken hierarchischen Beziehung zwischen ihnen und der Metropole. Aufgrund dieser Selbständigkeit und dieses gut funktionierenden Kommunikationsnetzes werden die Vorsteher der Kirche später, nachdem Konstantin das Toleranzedikt erlassen hat, einen beachtlichen Einfluß über das ganze Gebiet ausüben können, vor allem Bischof Athanasius. Er wurde genau zu dieser Zeit Patriarch - und im selben Jahr, 328 n.Chr., gründete Pachomius sein erstes Kloster. Athanasius besaß außerdem die Weisheit zu erkennen, welch eine gewaltige Kraft dieses Mönchtum für die Kirche darstellen könnte.

            Pachomius kam also gerade rechtzeitig. Und er verstand es, in höchstem Maß von dieser  neuen politischen Konstellation zu profitieren. Er baute seine Klöster nicht in der Wüste, sondern legte sie am Ufer des Nils an, in den Zentren der gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kirchlichen Aktivitäten.

            Die Verwaltungsreform Diokletians umfaßte auch eine bedeutsame Bodenreform in Ägypten.  Bis zu diesem Zeitpunkt war das ganze Land Gemeingut gewesen, also öffentliches Eigentum: es gehörte dem Staat. Zu Beginn des dritten Jahrhunderts hatten zahlreiche Bauern jedoch begonnen, Parzellen dieses staatlichen Landes zu kultivieren. Die Reform Diokletians übergab nun einerseits diese Parzellen dem Privateigentum, förderte aber andererseits eine Art Genossenschaftswesen in der landwirtschaftlichen Produktion zwischen dieses kleinen Landeigentümern. So wurden diese gemeinschaftlich für die Zahlung der Steuern verantwortlich gemacht. Aus dieser neuen Situation zogen die pachomianischen Klöster viele Vorteile für ihre wirtschaftliche Struktur. Das erlaubte Pachomius, auf der wirtschaftlichen Unabhängigkeit seiner Klöster durch ihre eigene Arbeit, sei es auf eigenen Ländereien, sei es durch Lohnarbeit, zu bestehen. Daher stammte auch seine Vorliebe für Föderationen.

            Wir stehen hier vor einem Phänomen, das man in der Geschichte des Mönchtums häufig finden wird, im Orient wie im Abendland: eine zahlenmäßig starke Entwicklung des Mönchtums folgt immer auf eine Periode weitreichender Änderungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich. Die Mönche sind dann im allgemeinen auf der Höhe ihrer Kultur. Sie verstehen es, eine neue Situation zu nutzen, um eine neue Kultur zu entwickeln.

            Die pachomianischen Klöster werden in verlassenen oder fast verlassenen Dörfern gegründet. Nach der Errichtung der klösterlichen Gemeinschaft kehrt die Dorfbevölkerung zurück. Im allgemeinen entsteht dann eine harmonische Beziehung zwischen dem Kloster und der Bevölkerung  - also ganz das Gegenteil von einer „Gegenkultur“ oder „Subkultur“.

            Alle Klöster des Pachomius sind untereinander zu einer großen Kongregation verbunden. Zwar ist jedes einzelne Kloster autonom, aber es gibt eine zentrale Verwaltung. Nach und nach entwickelt sich ein Stil des gemeinsamen Lebens, der auf die ägyptische Kultur Einfluß haben wird und von dort aus auf die universale christliche Kultur, besonders auf alle Formen des Ordenslebens.

 



[1] Aphrahat lebte in der 1. Hälfte des 4. Jh., seine Homilien 1-10 an die „Bundessöhne“ behandeln asketische Fragen. Vgl. Demonstrationes - Unterweisungen. Aus d. Syrischen übers. u. eingel. von Peter Bruns, Freiburg [u.a.] 1991[Fontes Christiani 5/1], Nr. 6: „Über die Bundessöhne“ S. 180-213. Für A. ist Askese eine Vorwegnahme der Auferstehungswirklichkeit; die asketische Grundhaltung ist von einer überschwänglich-enthusiastischen Stimmung getragen und wird christologisch begründet: Nachahmung der innersten Demutshaltung Jesu Christi, wie sie sich im Gehorsam gegenüber dem Vater und in seinem Hinabstieg zum Dienst an den Menschen manifestierte.

[2] Ephräm, gest. 373, Lehrer in Nisibis und Edessa. Neben Hymnen u. monast. Schriften ausführlich De virginitate.

[3] Koinos bios = das gemeinsame Leben. Latinisiert spricht man im Deutschen oft vom Zönobium, Zönobitentum ...

[4] Geb. nach 380 in Konstantinopel, gest. nach 440 ebd.; seine Historia Ecclesiastica behandelt die Zeit von 305 bis 439 unter Verwendung zahlr.Originaldokumente.

[5] Ein bekanntes Beispiel ist die Pilgerin Egeria (Aetheria), wahrscheinlich eine spanische Nonne.