Teil V

Mönchtum und Säkularisierung

            Der erste Teil dieser Reihe fragte grundsätzlich nach den Beziehungen zwischen dem Mönchtum und der Kultur, in der es gelebt wird; der zweite Teil behandelte die Anfänge des Mönchtums im Orient und seine »kulturstiftenden« Lebensformen. Im dritten Teil zeigte der Gang durch die Geschichte des abendländischen Mönchtums vor Cîteaux die vielfachen Beziehungen zur kulturellen Entwicklung Europas auf. Der vierte Teil versuchte, die wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen der Zisterzienser mit der Gesellschaft ihrer Zeit zu charakterisieren. In diesem fünften Teil werden die geistesgeschichtlichen Umwälzungen der Neuzeit in den Blick genommen: Welche Auswirkungen haben die Reformation, die Aufklärung, die Französische Revolution für das kulturelle Klima gehabt – und was folgt daraus für das Mönchtum?

1. Das Mönchtum: eine Gegenkultur?

            Gelegentlich wird die Ansicht vertreten, Aufgabe der Mönche sei es, eine »Gegenkultur« zu bilden, d.h. auf die Kultur ihrer Zeit und Gesellschaft zu reagieren, indem es einen Gegenentwurf, eine Alternative anbietet. Diese Auffassung ist völlig falsch. Sie geht mehr oder weniger sie auf die 68-er Bewegung des 20. Jahrhunderts zurück. Schaut man jedoch in die Geschichte zurück, so muss man feststellen, dass jedes Mal, wenn sich eine neue Bewegung im Mönchtum bildete, eine neue monastische Einrichtung gegründet wurde oder ein auffälliges zahlenmäßiges Wachstum zu verzeichnen war, eine Gruppe von Mönchen dahinter stand (vielleicht eine ganz kleine Gruppe), die sich völlig im Einklang mit der Kultur ihrer Zeit befand, eng verbunden war mit den Sehnsüchten, Bestrebungen und Erwartungen der Männer und Frauen ihrer Zeit. Auf diese tiefen Sehnsüchte und Bestrebungen hat diese Gruppe dann mit ihrem eigenen Leben eine Antwort gegeben - eine Antwort, die nicht nur für sie selbst gültig war, sondern auch für alle anderen Männer und Frauen ihrer Epoche. So gesehen müsste das Mönchtum einen Knotenpunkt, eine Energiequelle im Zentrum der jeweiligen Kultur bilden. Ist das heute noch möglich, da wir einen Kulturbruch, ja nach Huntingdon einen »Zusammenprall der Kulturen« erleben – und wie wäre das zu leben?

Der Angelpunkt: das Verhältnis von Kirche und Welt

            Das Mönchtum ist zuinnerst mit dem Leben der Kirche verbunden. In allen großen Umschwüngen in Kirche und Gesellschaft hat interessanter Weise gerade das Mönchtum sich außerordentlich stark entfaltet; wir konnten das im 4. und 5. Jahrhundert ebenso beobachten wie in den großen Reformbewegungen des 10. bis 12. Jahrhunderts. Um besser zu verstehen, was heute in den Beziehungen zwischen der Kirche und der Welt vor sich geht, möchte ich einen Blick zurück in die Geschichte werfen und die Entwicklung bis zur Moderne kurz skizzieren.

            Im vierten Jahrhundert war die Kirche zur Reichskirche geworden. Die offizielle Leitung der Kirche übernahm in ihrer gesellschaftlichen Organisation nach und nach eine bestimmte Stellung in den Bevölkerungsschichten, die der priesterlichen Stellung im Kontext der antiken Kultur und in der jüdischen Tradition sehr ähnlich war: die Priester waren Staatsbeamte. Das bedeutet, dass der Klerus zur privilegierten Gesellschaftsschicht wurde, die an der Staatsgewalt teilhatte. Allmählich übernahm die Kirche eine wichtige politische Rolle in Europa. Im Mittelalter kam diese Entwicklung zu ihrem Höhepunkt. Die »Zwei-Schwerter-Theorie« brachte dies auf einen einprägsamen Nenner: Der Papst führte das Schwert der geistlichen, der Kaiser das der weltlichen Macht. Aber der Papst krönte den Kaiser; die Kirche kontrollierte die Glaubensüberzeugungen und die Erziehung.

            So ergab sich um 1300 eine überraschende Wiederholung der sakralen Theokratien einiger archaischer Religionen. Die christlichen Glaubensüberzeugungen durchdrangen alle gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen, bestimmten die Beziehungen der Menschen untereinander und antworteten auf die Fragen über die Naturphänomene. Sie inspirierten die Wissenschaften und die Künste: Musik, Literatur, Philosophie, Kosmologie, und selbstverständlich die Theologie und den Kult. Die religiöse christliche Autorität ist das sakralisierte Haupt der menschlichen Gesellschaft und die letzte Instanz in fast allen menschlichen Problemen geworden.

Diese einzigartige Stellung behält die Kirche im wesentlichen - trotz Renaissance und Humanismus - bis ins 16. Jahrhundert hinein. Die theologischen Summen des Mittelalters waren die Frucht vieler Jahrhunderte angestrengter schöpferisch-intellektueller Arbeit in der Kirche, unter dem Einfluss und mit Beiträgen von zahlreichen Denksystemen, darunter griechischen und arabischen. Aber von da an kristallisierten sich Philosophie und Theologie und versteinerten in der vorliegenden Form. Die Texte wurden einfach wiederholt und kommentiert, aber die gewaltigen Fortschritte der Wissenschaft (besonders der Astronomie, der Physik und der Biologie) wurden abgelehnt, bzw. überhaupt nicht zur Kenntnis genommen – bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Was war geschehen?

2. Die kulturelle Entwicklung der Neuzeit:

            Die Renaissance, der Humanismus, die Reformation und die nachfolgenden Glaubenskriege bedeuteten eine völlige gesellschaftliche und kulturelle Umwälzung. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts erst begann die Lösung der Glaubensbekenntnisse von der Landesherrschaft und eine gewisse individuelle Gewissensfreiheit. Der allmähliche Prozess der Modernisierung führte nach und nach zu einer zunehmenden Autonomie der Welt; er war verwurzelt in einer umfassenderen Entdeckung der Welt, in den zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und wachsenden philosophischen Einsichten.

            Wie antwortete die Kirche auf diese neuen Bewegungen, die die Welt so grundlegend verändert hatten und die modernen Zeiten vorbereiteten? Leider muss man feststellen, dass sie im Großen und Ganzen diesen Prozess abgelehnt hat. Und die tragische Konsequenz war, dass sich diese moderne Welt ohne die Kirche und schließlich in vielen Fällen sogar gegen die Kirche gebildet hat. Erst im Zweiten Vatikanum wird sich die Kirche – wenigstens theoretisch - für einen gewissen Dialog mit der modernen Welt öffnen.

Die nachtridentinische Epoche

            Das Konzil von Trient nahm - in seiner Reaktion auf die Reformation - eine abwehrende Haltung gegen jede moderne Entwicklung ein. Diese defensive Reaktion drückte sich vor allem darin aus, dass eine völlige Gleichförmigkeit in der Liturgie, in der theologischen wissenschaftlichen Sprache und Verkündigung sowie in der Ausbildung des Klerus und der Ordensleute durchgesetzt wurde. Es ist eine traurige Tatsache, dass diese Uniformierung gerade in dem Moment geschah, als die Kolonisation das Evangelium in viele Länder außerhalb Europas brachte. Die Versuche von seiten erfolgreicher Missionare wie Ricci und De Nobili, China und Indien ausgehend von deren örtlichen Kultur zu evangelisieren, wurden schnell verworfen; stattdessen wurden die Liturgiereform, die theologische Reflexion und die kirchliche Organisation den alten Kulturen Ostasiens ebenso auferlegt wie den eingeborenen Völkern Südamerikas.

            Die einförmige Ausbildung des Klerus in allen Teilen der Welt zeitigte zwei wichtige Folgen: Erstens verschärfte und vertiefte sie den intellektuellen Graben zwischen dem auf der Grundlage der mittelalterlichen philosophischen Gedankenwelt ausgebildeten Klerus und dem Laienstand, der nach den Kriterien der modernen Wissenschaft ausgebildet ist, und zweitens ignorierte sie völlig den kulturellen Kontext sowie die kulturellen Reichtümer der evangelisierten Völker.

            Die Jahrhunderte der Neuzeit waren eine Epoche großer wissenschaftlicher Kreativität. Indem man die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse für die Praxis auswertete, wurden neue Technologien geschaffen, etwa von der Anwendung der reinen Wasserkraft zur Dampfmaschine ... Die Kirche blieb außerhalb dieser Bewegung, und die Menschen, die ohne Leitung der Kirche solche bahnbrechenden Entdeckungen gemacht hatten, wurden sich immer mehr ihrer Fähigkeit bewusst, die Natur zu beherrschen und sich zunutze zu machen. In der Aufklärung des 18. und 19. Jahrhunderts feierte die Philosophie die Unabhängigkeit des menschlichen Verstandes - es war eine der optimistischsten und zugleich naivsten Phasen der Menschheitsgeschichte. Man stand vor den Toren der industriellen Revolution. Fast gleichzeitig wurden die Reiche abgelöst von den Nationalstaaten, und die Kirche verlor ihre Macht. Sie sollte schließlich nur noch einen symbolischen Staat behalten, den Vatikan. Das Erste Vatikanische Konzil zeigte denn auch eine typische Ghetto-Reaktion.

            Eine der schmerzlichsten Folgen der Industriellen Revolution war die allgemeine Ausbeutung der Arbeiter durch die aufkommende kapitalistische Gesellschaft. Der Kapitalismus ist letztlich als eine späte Frucht der feudalen merkantilistischen Gesellschaft zu sehen, nur ein neues Glied einer sich fortzeugenden Kette. Zwar hatte sich die Kirche seit den ersten Jahrhunderten ihrer Existenz gegen den Missbrauch der wirtschaftlichen Macht und des Geldes gewandt, aber unglücklicherweise war sie im Mittelalter selbst zu einem wichtigen Glied der Feudalgesellschaft geworden und spielte ihre Macht aus. In der Praxis handelte sie denn auch als Verbündete der merkantilistischen Kolonialmächte, als es um die Missionierung der neuentdeckten Kontinente ging. Von neuem verfehlte damals die Kirche ihre Chance Seite der Armen und der Unterdrückten zu stellen. Erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird sie damit beginnen.

Rückwirkungen auf das Mönchtum

            Vom 13. Jahrhundert an, also von dem Moment an, da sich in der »Renaissance« die neuzeitliche Weltsicht zu regen beginnt und die Kirche diese neuzeitliche Bewegung ablehnt, hat das Mönchtum nach und nach seine Lebenskraft verloren. Es wäre interessant, dies durch die verschiedenen Epochen hindurch zu verfolgen: von den nachtridentinischen Observanz-Bewegungen in allen großen Orden bis in die Zeit des Barock und Rokoko. Im Zisterzienserorden begann um 1600 die »Étroite Observance«; 1664 begann Abt de Rance die Reform von La Trappe. In Frankeich gab es im Jahre 1770 noch 237 Zisterzienserklöster mit insgesamt 1843 Mönchen - also im Durchschnitt nur 7-8 Mönche in einem Haus. Die Reform von La Trappe mit ihrer großen Strenge war nach unseren heutigen Maßstäben zweifellos übertrieben und unausgewogen – obwohl sie nur die Regel des heiligen Benedikt genau befolgen wollte. Aber sie entsprach gerade in ihrer Radikalität einem geistigen und kulturellen Klima der Barockzeit in Frankreich, was ihr einen gewissen Erfolg verlieh. Dennoch war es dem Mönchtum, aufs Ganze gesehen, in dieser Zeit unmöglich, ein Faktor kirchlicher Kreativität zu sein. Möglicherweise lebten damals auch im christlichen Volk keine so großen Bestrebungen und Erwartungen mehr wie jene, die einst von Cluny und Cîteaux aufgenommen worden waren und zu einem Ausdruck gefunden hatten, der in der Geschichte bislang einzigartig geblieben ist?

            Als die Französische Revolution ausbrach, ging eine kleine Gruppe von Mönchen aus La Trappe unter der Leitung von Dom Augustin de Lestrange ins Exil in die Schweiz und gründete dort La Valsainte. Ihre Spiritualität war nun geprägt durch den Gedanken der Buße und Sühne für die Gräuel der Revolution. Die weitere Flucht führte diese neuen Mönche - und Nonnen, die sich, vom gleichen Geist beseelt, zusammengefunden und der Leitung Lestranges unterstellt hatten - aus der Schweiz durch Russland und dann nach Deutschland, zum Teil bis nach England und Nordamerika, nach 1814 schließlich zurück nach Belgien und Frankreich.

Die Restauration der Klöster in der Moderne

            Die Zisterzienser der „Kongregation von La Trappe“, wie der Abkömmlinge von La Valsainte offiziell hießen, entstiegen der Asche der Revolution in einer neuen Gestalt: die Mönche und Schwestern waren Flüchtlinge, und ihre neu gegründeten oder wieder besiedelten Klöster waren sehr arm. Im allgemeinen war ihre Wirtschaft sehr einfach, fast immer landwirtschaftlich ausgerichtet; der Lebensstil entsprach dem der armen bäuerlichen Bevölkerung. Daher war ihre Ausstrahlung auf die Kultur der Umgebung sehr viel geringer und bescheidener als während des Mittelalters oder auch noch im Barock. Vor allem lebten sie in engstem Kontakt mit den Nöten und Sorgen der Bevölkerung im Alltag – sowohl mit den unmittelbaren Bedürfnissen der Armen, die an die Klosterpforten kamen, als auch mit den Erfordernissen der regionalen Wirtschaftssituation.           

            Die Restauration der Klöster im 19. Jahrhundert war ein schönes, aber doch zweideutiges Phänomen. Es entsprang weitgehend einer romantisch verklärten Sehnsucht nach dem als »heil« empfundenen Mittelalter, und es war gebunden an eine Wiederherstellung der Kirche, die mit politischen Positionen verknüpft war und zugleich großenteils ihrer Ablehnung der modernen Welt treu blieb. Daher trug diese Wiederherstellung zwar schöne, aber sehr begrenzte Früchte: begrenzt in der zeitlichen Dauer, begrenzt auch in ihren Auswirkungen auf das Kirchenvolk und ihrem Einfluss auf die Bevölkerung allgemein. Denn diese Reform oder Wiederherstellung des Mönchtums erwuchs nur aus jenen Bevölkerungsschichten, welche die Kirche noch nicht verloren hatte.

Das Mönchtum im 20. Jahrhundert

            Nach dem Ersten und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine bedeutsame Zunahme an klösterlichen Berufungen; in den Vereinigten Staaten wurden die Klöster von Kandidaten überschwemmt. Diese Zunahme kam in einem Moment, in dem die Kirche eine neue, positive Rolle spielte und sich der Gesellschaft gegenüber weniger defensiv verhielt. Nach dem Zusammenbruch waren die Katholiken gewillt, sich aktiv einzusetzen für den Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft und Weltordnung - etwa die großen Visionäre des neuen Europa: Schuman, De Gasperi, Adenauer... Mit dem Zweiten Vatikanum hat sich vieles theoretisch verändert, aber es wird noch lange dauern, bis die neuen Orientierungen ins konkrete Leben übertragen sind. Die Kirche, die so viele Jahrhunderte eng mit der Macht verbunden gelebt und sich auf sie gestützt hat, muss nach und nach lernen, ohne Macht zu leben.

            Wie wird sich das Mönchtum verhalten, wenn heute in Europa eine neue Kultur, eine neue Art von Zivilisation aufkommt, die nur noch wenig oder überhaupt keine Kontinuität mehr mit der früheren aufzuweisen scheint? Die jetzige Situation ist schwierig. Wir befinden uns in einer Zeit des Übergangs, und wie in jedem Übergang gibt es hier sowohl kleine Zeichen des neuen Lebens als auch letzte Zuckungen von Elementen, die schon dem Absterben verfallen sind. Die Mönche können sich, ebenso wie die Hierarchie der Kirche, an die Elemente der Vergangenheit klammern, die sicher zu sein scheinen - oder sie können im Heiligen Geist die Keime neuen Lebens wahrnehmen, sie von den sterbenden Elementen unterscheiden und daran arbeiten, diesen Keimen zum Leben und zu einem passenden Ausdruck zu verhelfen.

            Als Hilfe für diesen Unterscheidungsprozess noch einige Überlegungen: Seit einem Jahrhundert ungefähr spricht man von der »Entchristlichung der Massen«, Frankreich oder Italien werden als »Missionsländer« bezeichnet Die Kirche hat den größten Teil der Stadtbevölkerung und der Jugend verloren, nachdem sie im 19. Jahrhundert schon die Arbeiterklasse verloren hatte. Man spricht von einer »Kirche der Diaspora«. Haben wir das Phänomen jedoch tief genug analysiert?

3. Das Phänomen der »Säkularisierung«

            Neuere Historiker glauben, dass der Umschwung im Selbst- und Weltverständnis der Menschen, die im Humanismus und in der Reformation ans Licht trat und deren Folgen wir heute als »Säkularisierung« (»Verweltlichung«) bezeichnen, mit einem Naturphänomen von dramatischen Ausmaßen begann: mit der Pest. Der »Schwarze Tod«, der Mitteleuropa im 14. Jahrhundert heimsuchte, war eine der traumatischsten Erfahrungen in der Geschichte der Menschheit. Er begann 1334 in Konstantinopel und tötete innerhalb von 20 Jahren zwischen einem Drittel und zwei Dritteln der Bevölkerung Europas. Das ganze 14. und 15. Jahrhundert hindurch, das »Spätmittelalter«, war Europa durch einen beständigen Niedergang gezeichnet; die letzte große Pestepidemie traf London im Jahre 1665.

Zwei Gesellschaften – zwei Haltungen gegenüber der »Welt«

            Auf diese schreckliche Erfahrung gab es grundsätzlich zwei Antworten. Je nach der Antwort, die die Menschen darauf gaben, bildeten sich die zwei »Gesellschaften«, die wir heute haben. Thomas Berry nennt sie die »gläubige, religiöse Gesellschaft« und die »weltliche, wissenschaftliche Gesellschaft.«

            Er kennzeichnet damit zwei grundsätzlich verschiedene Haltungen der Welt gegenüber: Die »gläubige Gesellschaft« stand in Verbindung mit übernatürlichen Kräften, bei denen sie Zuflucht nehmen konnte. Sie war in Kontakt mit der Welt des Geistes, mit den esoterischen Überlieferungen, manchmal auch mit vor-christlichem Glaubensgut und entsprechenden Ritualen, deren tiefreichende Dynamik seit der Ankunft des Christentums vernachlässigt worden waren. In dieser Situation, da den Menschen beständig Unheil drohte, wurde die Erlösungsmystik zur beherrschenden Form christlicher Erfahrung (man denke an die ausdrucksvollen spätgotischen »Pestkreuze«); die Lehre von der Schöpfung dagegen trat in den Hintergrund und wurde vernachlässigt. Diese Antwort, mit ihrer Betonung einer Spiritualität der Buße und Sühne, setzte sich fort durch die religiösen Bewegungen des 16. Jahrhunderts (der »Gegenreformation« oder Katholischen Erneuerung) und wurde weitergeführt im Puritanismus und Jansenismus des 17. Jahrhunderts. Der Schock der Aufklärung und der Französischen Revolution im 18. und 19. Jahrhundert verstärkte diese Reaktion noch und äußerte sich etwa in der Spiritualität der Sühne und Wiedergutmachung.

            Die andere mögliche Reaktion auf den »Schwarzen Tod« führte dagegen zur weltlichen, wissenschaftlich orientierten Gesellschaft unserer Zeit. Diese weltoffene Haltung suchte die irdischen Schrecken nicht durch religiöse und übernatürliche Kräfte zu überwinden, sondern durch ein vertieftes Verstehen dessen, was auf der Welt vor sich ging. Sie führte nicht nur zu all den Erkenntnissen der modernen Medizin, sondern auch zu der ganzen naturwissenschaftlichen Entwicklung von heute, die auf den Entdeckungen des 18., 18. und 19. Jahrhunderts aufbaut.

Das Traurige an der Geschichte ist, dass es praktisch keinerlei Dialog zwischen diesen beiden »Gesellschaften« gab. Die religiöse Gemeinschaft verschloss häufig die Augen vor den Entdeckungen der wissenschaftlichen Welt, wenn sie sie nicht gar bekämpfte. Und die wissenschaftliche Welt wurde immer atheistischer. Die Beziehungen zwischen Welt und Kirche verschlechterten sich, und so haben wir heute in der ganzen westlichen Welt, besonders aber in Europa, die paradoxe Situation, dass sich zwar die große Mehrheit der Menschen noch immer als Gläubige, ja sogar als Christen betrachtet, sich aber nicht bewusst ist, dass ihr christlicher Glaube Auswirkungen haben sollte auf ihr Leben in der Gesellschaft, auf ihre Ehe und auf ihr Wirtschaftsgebaren. Nach einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung bezeichneten sich 10 % derer, die sich als Christen bekannten, zugleich als Atheisten!

Gibt es noch gemeinsame Wertvorstellungen?

            Anders ausgedrückt: Die langen Jahrhunderte christlicher Zeitrechnung waren dadurch gekennzeichnet, dass in der ganzen westlichen Welt die christlichen Werte als Bezugspunkte galten. Vermutlich waren die Männer und Frauen früherer Zeiten nicht mehr oder weniger gläubig als in der Gegenwart, die Sitten kaum moralischer, die Gewalttätigkeit ebenso verbreitet wie heute. Aber für jeden Menschen, ob er nun persönlich nach dem Evangelium lebte oder nicht, bildeten die christlichen Werte einen Maßstab. Alle äußeren Aspekte des christlichen Lebens hatten die Bedeutung eines Symbols und wurden auch von allen als solches wahrgenommen. Um nur ein Beispiel anzuführen, das uns nahe liegt: Die monastische Klausur der Nonnen – die materielle Abgeschlossenheit – rief allen Menschen die evangelischen Werte ins Gedächtnis, die diese Frauen hinter der Klausurmauer lebten oder zu leben sich bemühten – und wenn sie dem Ideal nicht treu waren, so nahm das doch nichts von der Kraft des Symbols und von der Zeichenhaftigkeit der Klausur weg. Oder die unterscheidende Kleidung, die Kleriker und Ordensleute trugen: sie war ebenfalls ein Symbol für die Werte, die sie zu leben versuchten. In unseren Tagen aber haben weder die Klausur noch das Ordensgewand für die Bevölkerung im allgemeinen noch einen symbolischen Wert. Sie sind zwar noch Zeichen – der Habit kann als Zeichen der Identifikation mit einer bestimmten Gruppe verstanden werden -, aber oft  Zeichen für etwas völlig anderes als das, was ursprünglich damit ausgedrückt werden sollte. (Wenn in der westlichen Welt ein Mann mit einem Kleid auf die Straße geht, bedeutet es heute etwas ganz anderes als das, was man ursprünglich damit sagen wollte ... Im Orient oder in der arabischen Welt ist das jedoch anders!)

            Kurz: Der Prozess der Säkularisierung ist soweit fortgeschritten, dass die Kirche der Welt verdächtig wurde - und umgekehrt. Zwar hatte sich das Zweite Vatikanische Konzil alle Mühe gegeben, nicht länger mit der Welt zu schmollen. In der Konzilszeit redete man viel von der »offenen Kirche«, von der »Präsenz der Kirche in der Welt« usw. Sie wollte nicht mehr im Gegensatz zur Welt stehen, sondern mitten in ihr und durch sie wirken. Dennoch blieb - trotz bester Absichten - die Position des Zweiten Vatikanums, immer noch ein »Gegenüber«: man blickte einander in die Augen - aber die Haltung war  noch dualistisch.

            Inzwischen lernen wir – unter Schmerzen – in einer Diaspora-Situation in dieser Welt zu leben. Die Krise, die die Kirche in den westlichen Ländern durchmacht, die das Ordensleben erfährt, ist größtenteils auf die Anpassung an diese neue Diaspora-Situation zurückzuführen. Die Nachwuchskrise in den meisten unserer Klöster ist keine uns eigene, sondern eine Krise der Kirche. Und diese Krise ist auch nicht in erster Linie ihre eigene, eine Krise der Kirche, sondern eine Krise der Gesellschaft. Ich meine, im wesentlichen ist es eine Wachstumskrise. In den Ländern, die einst »christlich« waren, haben wir heute das Problem, wie wir den Spagat schaffen können, dass die Kirche »zwar in der Welt, aber nicht von der Welt« ist, d.h. wie wir einerseits die konstantinische Verwechslung von Welt und Kirche vermeiden, ohne andererseits die beiden bloß parallel nebeneinander her laufen zu lassen. In anderen Worten: Wie können wir heute Salz der Erde und Licht der Welt sein? 

 

4. Die Sendung des Mönchs heute

            Unsere ganze monastische Ausbildung hat uns darauf vorbereitet, für die Kirche zu leben, Zeugen für die Kirche und ihre Sendung zu sein, für das Evangelium, die christlichen Werte. Jetzt müssen wir allmählich lernen, nicht nur für die Kirche zu leben, sondern in der Kirche für die Welt zu leben, die »communio« zu leben, die Gemeinschaft, jene göttliche Wirklichkeit par excellence. Und zwar mit allen Dimensionen unserer  pluralistischen Welt.

            Wenn wir die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils ernst nehmen, dass die Kirche ihrem Wesen nach missionarisch ist, d.h. dass sie eine Sendung hat, dass sie in der Gesellschaft Zeugnis ablegen soll für die Botschaft Christi, dann wird deutlich, was oben bereits angedeutet war: wir können die Rolle des Mönchtums in der heutigen Gesellschaft nur angemessen beschreiben, indem wir die Bedürfnisse und Erwartungen dieser Gesellschaft, der Männer und Frauen unserer Zeit  beschreiben. Seinem Wesen nach verändert sich das Mönchsleben nicht, ebenso wenig wie sich das Wesen des christlichen Lebens ändert. Was sich verändert, ist jeweils die spezifische Form, in der das Mönchs­leben Sinn und Bedeutung hat, und zwar nicht nur für Christen, sondern für jeden Mann und jede Frau einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit. Die Nöte, Bedürfnisse und Erwartungen der Gesellschaft bestimmen zwar nicht das Wesen des Mönchtums, aber doch die Art und Weise, wie es seine Sendung erfüllen kann, den Menschen eine Antwort aus dem Glauben anzubieten.

            Wenn also das monastische Leben für die Identität und die Sendung der Kirche von heute eine Bedeutung haben soll, dann wegen dessen, was es ist – nicht nur wegen dessen, was einige Mönche oder Nonnen tatsächlich tun, so wertvoll ihr Tun auch sein mag. Das monastische Leben ist nicht nur eine Ansammlung von einzelnen Menschen, die sich in vielfältigen guten Werken engagieren, sondern ein genau umgrenzter Lebensstand in der Kirche. Damit meine ich eine dauerhafte, stabile und öffentliche Form des gottgeweihten Lebens in der Kirche, die in besonderer Weise einen Aspekt oder eine Dimension des christlichen Glaubensgeheimnisses sichtbar macht. Zwar sind alle Gläubigen dazu berufen, dieses Geheimnis zu leben, aber nicht alle legen auf gleiche Weise dafür Zeugnis ab. Welcher Aspekt, welche Dimension des christlichen Glaubens ist es, den das monastische Leben auf besondere Weise bezeugt, und welche Bedeutung hat dieses Zeugnis heutzutage?

            Wie oben erwähnt, ist unsere Gesellschaft zutiefst atheistisch geworden, gleichgültig, ob wir an den der theoretischen Atheismus der früheren sozialistischen Länder oder an den praktischen Atheismus der kapitalistischen Länder denken. Auch die Menschen, die an Gott glauben, dienen oft anderen Göttern, angefangen bei Mammon, dem Gott des Geldes und der Effizienz. Daher meine ich, dass heute zwei Aspekte des Mönchtums besonders wichtig sind: Die Unmittelbarkeit der Gottesbeziehung und die Marginalität in der Beziehung zur Welt.

Unmittelbarkeit der Gotteserfahrung

            Es ist für den Menschen charakteristisch, dass er durch den Gebrauch materieller Dinge die Welt gestaltet, sich bemüht, Gott zu suchen und an der Umgestaltung der Welt in Christus zu arbeiten. Als „Geist in Leib“, im Fleisch geboren und in die Geschichte eingetaucht, wirken wir unser Heil in dem und durch das materielle Universum, in dem wir leben, uns bewegen und sind. Das ist unser natürliches Lebenselement. Dennoch, so gut und notwendig diese Seinsweise ist, manche Menschen sind berufen, so weit wie möglich diese »Vermittlungen« des Göttlichen zu übergehen und Gott in einer Unmittelbarkeit zu suchen, die närrisch wäre, wäre sie nicht Antwort auf Gottes eigene Einladung.

            Gewiss, kein Mensch kommt in seiner Gottesbeziehung völlig ohne menschliche  Vermittlung aus. Der Mönch aber, der seiner Berufung treu ist, beginnt mit Gott. Gott ist für ihn nicht in erster Linie der letzte Horizont, in dessen Rahmen alles getan wird, sondern der allererste Bezugspunkt, in dem das Sein und Tun ihren Ursprung nehmen. Zu jeder geschichtlichen Erfahrung gelangt er mehr dadurch, dass er sich unmittelbar mit Gott befasst, als dass er Gott durch seine geschichtlichen Beziehungen und Aktivitäten suchen würde. Und das geschieht vor allem im kontemplativen Gebet.

Das immerwährende Gebet

            Die grundlegende Vorschrift des Neuen Testaments zum Gebet ist, dass wir ohne Unterlass beten sollen. Und so waren die Mönche durch viele Generationen hauptsächlich damit beschäftigt, Wege zu entwickeln, wie sie die kontemplative Aufmerksamkeit, das beständige achtsame Bewusstsein der Gegenwart und Liebe Gottes bewahren könnten. Das unablässige Gebet ist stets verwurzelt in der unablässigen Lesung und Meditation des Wortes Gottes. Durch die Jahrhunderte der Übung haben die Mönche auch entdeckt und erfahren, das das immerwährende Gebet nicht möglich ist ohne immerwährende Bekehrung. Sie haben entsprechende asketische Übungen entwickelt, die das Herz empfänglich machen für das Wirken des Geistes Gottes, der schließlich und endlich der Einzige ist, der uns das Beten lehren kann.

            Heutzutage lebt im Volke Gottes ein tiefer Durst nach dem Gebet und zugleich ein übertriebenes Vertrauen auf Methoden und Techniken. Daher scheint mir, dass es heute die Sendung der Mönche ist zu bezeugen, dass es möglich und absolut wichtig ist, eine kontemplative Beziehung der Liebe zu Gott zu leben, und dass menschliche Mittel und Werkzeuge nur sehr bedingt dazu verhelfen können. Mönche müssen durch ihr eigenes Leben zeigen, dass das Entscheidende nicht ist, beten zu lernen, sondern so leben zu lernen, dass das ganze Leben allmählich zu einem fortwährenden Gebet wird, unter dem Wirken des Geistes Gottes.

Die Wüste

            Die Unmittelbarkeit zu Gott geht Hand in Hand mit der Unmittelbarkeit zu sich selbst und mit dem Kampf, der bei jedem von uns im Herzen stattfindet: dem Kampf zwischen dem Reich des Lichtes und den Kräften des Bösen. Deshalb ist die Wüste ein weiterer Aspekt der mönchischen Gottsuche. Die große mönchische Überlieferung hat die Wüste nicht in erste Linie als Ort der süßen Gotteserfahrung aufgefasst, sondern als einen Ort, den man aufsucht, um mit Christus die Mächte der Finsternis auf ihrem eigenen Terrain zu bekämpfen. Das könnte auch ein Gegengift sein zu der modernen Hauptbeschäftigung, das Ich zu kultivieren und zu erhöhen. Die Wüste ist eine Haltung der Machtlosigkeit in Gegenwart der rettenden Erlösung. Es ist eine innere Verfassung, die bereit ist, sich das Heil rein aus Gnade, „umsonst“ schenken zu lassen in der schmerzlichen Erfahrung der eigenen Grenzen und mit der dunklen, verborgenen Gewissheit, dass Gott uns sucht und erwählt – und dass Christsein nicht so sehr die Liebe des Menschen zu Gott ist, als vielmehr die Liebe Jesu zu uns, die den Menschen zuerst gesucht hat.

            Das Wesen echten christlichen Betens bestand immer darin, aus sich heraus zu gehen, um dem Anderen zu begegnen, der Gott ist. Weit davon entfernt, ein egoistischer Trip, eine Flucht vor der Wirklichkeit und vor Verantwortung zu sein, ist das wahre Gebet der höchste Akt der Selbstverleugnung und Selbstvergessenheit, um Christus zu begegnen und dem, was er fordert – in anderen. Der Mönch versucht durch sein Leben zu bezeugen, dass die bevorzugte Beschäftigung mit den Bedürfnissen seiner Brüder und Schwestern ganz natürlich aus dem Leben in der Intimität mit Gott herauswächst und nicht nur einfach von gelegentlichem Gebet begleitet ist.

           

Der Zölibat

            Es gibt noch eine weitere Form der Unmittelbarkeit in seiner Liebesbeziehung zu Gott, für die dem Mönch Zeugnis ablegt in seinem eigenen Fleisch. Es ist das zölibatäre Leben. Der Zölibat, als öffentlicher und bleibender Lebensstand gewählt, versetzt den Mönch in eine existentielle Einsamkeit, die keinerlei Bande der Freundschaft, der Gemeinschaft oder der Solidarität mit der Welt - wie tief auch immer diese sein mögen – je mildern kann. Allein-sein ist in gewissem Sinn die innere Struktur des Lebens im geweihten Zölibat, so wie die treue und fruchtbare Gegenseitigkeit die innere Struktur der Ehe ist. Dieses Allein-sein findet, wenn es geliebt, behütet und bewohnt wird als Kern der eigenen Berufung, seine positive Bedeutung im oben erwähnten kontemplativen Beten, das dadurch gefördert  und genährt wird. Die Einsamkeit, die Ordensleute durch ihr öffentliches und fürs ganze Leben gültiges Versprechen des Zölibats erwählen, macht in der Kirche sichtbar, dass jedes menschliche Wesen im Grunde allein vor Gott steht.

Marginalität

            Der Versuch, Tag für Tag in solcher Unmittelbarkeit zu Gott zu leben, versetzt den Mönch an den Rand der gesellschaftlichen Ordnung. Es ist ein Außenseiter-Dasein, das von der Wahl, die der Mönch getroffen hat, und von den daraus sich ergebenden Entscheidungen herrührt, die ihm helfen sollen, diese Gottunmittelbarkeit zu leben und auszudrücken. Der Mönch hat eine Wahl getroffen, dass er nicht durch Heirat eine gemeinsame Zukunft mit einem anderen Menschen erarbeiten, dass er sich nicht durch Zeugung und Erziehung der nächsten Generation von Menschen in den geschichtlichen Prozess der Welt einfügen will. Er entscheidet sich, dass er persönlich nicht teilhaben will an der Profit-Gesellschaft, sei es durch Arbeit für den eigenen Gewinn, sei es durch unabhängigen Gebrauch dessen, was er sich verdient. Er sucht sich eine innere Freiheit zu bewahren, die unvereinbar ist mit den gewöhnlichen politischen Betätigungen. Er wählt eine Form des Gemeinschaftslebens, das die Ebenen des persönlichen Geschmacks und Vorteils übersteigt und Zeugnis geben will von der transzendenten und allumfassenden Herrschaft Christi. Diese grundlegenden Entscheidungen sind die Koordinaten eines Lebensstils, der ihn an den Rand der weltlichen Gesellschaft  versetzt. Nach einem bekannten Wort des Evagrius Pontikus ist er „von allen getrennt mit allen vereint.“

            Dem Mönch wird klar: je komplexer das Leben der zeitgenössischen Gesellschaft wird, desto schwieriger wird es für den einzelnen, frei und einfach als Jünger Christi zu leben – und umso wichtiger wird es, dass wenigstens einige Menschen es versuchen und einen Lebensstil in der Kirche  schaffen, der öffentlich bezeugt, dass es möglich und erstrebenswert ist, auf eine solche Weise zu leben. Indem ich diesen Versuch mit den Begriffen Intimität und Marginalität (=Außenseiter-Dasein) beschreibe – anstatt mit den Begriffen der Weltflucht oder einer Scheidung zwischen dem Sakralen und dem Säkularen, dem herausgehobenen geheiligten und dem weltlichen Bereich - , versuche ich, nutzlosen Streitereien über Wörter aus dem Weg zu gehen. Dennoch und gerade damit will ich hervorheben: das Mönchsleben bringt einen inneren Standpunkt und einen öffentlichen Lebensstil mit sich, die bezeugen, dass Gott den ersten Platz einnimmt und dass er allein genügt. Darin ist zugleich eine Berufung zum Propheten begründet.

Der Mönch – ein Prophet

            Keiner, der ein Prophet sein will, ist einer! Die Prophetie aber ist eine unverzichtbare Dimension des christlichen Lebens. Und deshalb wird der Mönch in dem Maß auch ein Prophet sein, als er seiner Berufung treu ist, die immer an Ruf Gottes an ihn persönlich, aber nie für ihn allein ist!

            Bei der Prophetie geht es nicht in erster Linie um Vorhersagen für die Zukunft. Vielmehr ist sie eine Zeitansage: sie sagt, was an der Zeit ist, wofür es jetzt Zeit ist, in der Gegenwart. Wie Rabbi Abraham Heschel es ausdrückte: „Die wesentliche Aufgabe des Propheten ist es, das Wort Gottes auf das Hier und Jetzt hin auszulegen.“ Jesus ist der Prophet par excellence, der eine, der verkündete, dass die Zeit jetzt da ist und wofür es jetzt Zeit ist im Reiche Gottes.

            Prophetie erfordert dreierlei: eine Klarheit der Sicht und eine Schärfe des Gehörs, die wahrnehmen, wie Gott die Geschichte sieht; sodann die Fähigkeit, diese Sicht wirksam zu verkündigen, und zwar sowohl den Kräften, die dem Gottesreich entgegenstehen, als auch den Menschen, die durch diese Kräfte unterdrückt werden; und schließlich die Bereitschaft, zu zahlen – selbst mit dem eigenen Leben – für den endgültigen Triumph der Bundesordnung Gottes, des Gottesreichs.

            In seinem kontemplativen Beten versucht der Mönch beständig auf das zu horchen, was der Geist Gottes der Kirche heute sagt. Er horcht auch auf die Geschehnisse in der Welt, von Gottes Standpunkt aus. Wie Heschel sagt: „Die grundlegende Erfahrung des Propheten ist eine Gefährtenschaft mit den Gefühlen Gottes, eine Sympathie mit dem göttlichen Pathos.“ Die Gottunmittelbarkeit und die Existenz am Rande der gesellschaftlichen Ordnung, die der Mönch zu leben versucht, ist unmittelbar hingeordnet auf die Teilhabe an Gottes Wahrnehmung der Menschheit in der Geschichte, auf die Kultivierung des Mitleidens mit dem göttlichen Leiden.

            Das kontemplative Gebet ist der Ort, an dem die Sicht des Kontemplativen mit der göttlichen Sicht zusammenfallen. Der Mensch tritt in die Sphäre Gottes ein. Im kontemplativen Gebet gehen wir durch die Mitte unserer eigenen Existenz hindurch bis ins innerste Wesen Gottes hinein, wo wir uns selbst und die Welt mit einer Klarheit, einer Einfachheit und einer Wahrhaftigkeit sehen, die auf keine andere Weise zu erlangen ist. Und diese Sicht der Wirklichkeit ist es, die der Kontemplative in der gesellschaftlichen Ordnung zur Geltung bringen muss. Für den Mönch hat die Einsamkeit in erster Linie den Zweck, solche Kontemplation zu ermöglichen und zu fördern, in der er teilhat an der göttlichen Durchsicht.

            Die Marginalität, das Außenseiter-Dasein, wenn es in all seiner Schrecken erregenden Zweideutigkeit und ohne jeden Versuch der Selbstrechtfertigung oder des Anspruchs auf Überlegenheit gelebt wird, gibt dem Mönch einen hermeneutischen Angelpunkt, der in gewissem Sinn dem der Armen und Unterdrückten analog ist, jener Menschen, die nicht aus eigener Wahl am Rande leben, sondern mit Gewalt dorthin gedrängt wurden. Außerhalb des Systems zu leben, besonders dann, wenn man keine alternative Quelle für die Güter und Dienstleistungen hat, die das System einem zur Verfügung stellen würde, erlaubt es, die Widersprüche und die Gewalttätigkeit des Systems zu erkennen, welche diejenigen, die voll daran teilnehmen, weniger gut sehen können. Ordensleute sind aus eigener Wahl am Rande angesiedelt, aber diese Marginalität steht im Dienst der Prophetie, nicht der Weltflucht. Von der Außenkante des Systems her kann man sehen, was das System mit denen macht, die ausgeschlossen sind. Wenn die Kontemplation die Gottunmittelbarkeit fördert, dann fördert die Marginalität die Unmittelbarkeit zu den Unterdrückten. Der Mönch will dort sein, wo der Schrei der Armen an das Ohr Gottes dringt. Das Leiden Gottes zu spüren ist kein warmes, wohliges oder bequemes Gefühl. Es ist eine Erfahrung der heulenden Wildnis.

            In dieser Erfahrung wird der Mönch entdecken, dass zwei verschiedene Formen der Gottbegegnung gleich wichtig sind und einander ergänzen: die kontemplative Begegnung im Gebet in der Stille der Zelle (Mt 5) und die Christusbegegnung im leidenden, bedürftigen Bruder (Mt 25). In vielen Fällen werden Mönche sich berufen fühlen, sich in Werken der Nächstenliebe oder sogar in sozialen Aktionen zu engagieren, sei es als einzelne, sei es als Gemeinschaft. In manchen Fällen wird das nur eine Versuchung, in anderen mag es ein echter Ruf Gottes sein. Doch wie auch immer sie sich engagieren, die wesentliche und unabdingbare Berufung des Mönchs wird der beständige »Ort« jener prophetischen Einsicht sein, der geboren wird aus der Gottunmittelbarkeit und der Marginalität.

Der Mönch – ein Pilger

Ein solches beständiges Gott-suchen und eine solche gesellschaftliche Marginalität machen aus dem Mönch einen Pilger. Die »Reise« ist einer der großen spirituellen Archetypen, denen man in jeder größeren Religion und Kultur begegnet. Daher ist es nicht überraschend, dass Mönche sehr häufig die Lebensweise eines Pilgers angenommen haben. So zum Beispiel die munis im vor-aryanischen Indien, die rishis und sannyasin des Hinduimus seit der frühesten Zeit der Upanishaden, die bikkus des Buddhismus und auch die ältesten Asketen des Christentums, deren Leben in den Thomasakten und im Liber Graduum beschrieben ist. In der westlichen Überlieferung des Christentums lebte der gleiche Geist der Pilgerschaft im Herzen des keltischen Mönchtums und inspirierte die missionarischen Abenteuer des heiligen Augustinus in England und des heiligen Bonifatius in Deutschland.

            Dennoch war die Pilgerschaft nicht überall verbreitet. Im christlichen Osten war es so, dass die frühen ägyptischen Mönche zwar einen großen und ständigen Zustrom von Besuchern empfingen, aber selbst kein Wanderleben annahmen. Auch der Mönchvater des Westens, der heilige Benedikt, hat deutlich sein Missfallen an den Wandermönchen ausgedrückt, die er „Gyrovagen“ nannte.  Obwohl aber sowohl die ägyptischen als auch die westlichen Mönche nach Benedikt sich auszeichneten durch ein Streben nach örtlicher Beständigkeit, haben sie dennoch das Mönchsleben weiterhin als eine Reise oder einen Weg betrachtet, allerdings im wesentlichen als einen inneren Weg.

            Während der Gyrovage ohne Wurzeln ist und deshalb nicht wirklich wachsen kann, ist der echte Pilger ein Mensch, der fest verwurzelt ist. Entweder hat er ein „Zuhause“, von dem er herkommt und zu dem er am Ende seiner Pilgerschaft zurückkehren wird, oder er hat – falls er die stän­dige Pilgerschaft gewählt hat – genügend innere Verwurzelung, um auf eine Unterstützung durch seine Umgebung, durch geographische und kulturelle Verwurzelung verzichten zu können.

            Der Pilger ist überall zu Hause, ohne dass er versucht, sich irgendwo ein Haus zu bauen. Er hat ein Gefühl der Freiheit, das leicht bedrohlich wirken kann auf Menschen die ihre Sicherheit noch darin finden, dass sie zu einem bestimmten Ort oder zu einer Gruppe oder zu einem festen System gehören. Er ist kein guter Kunde für die Anbieter fremder geistlicher Güter. Der Gyrovage dagegen baut sich überall, wo er hinkommt, ein zeitweiliges Haus, kauft alle die neuesten spirituellen Angebote auf dem Markt und wird zum naiven Schüler des jüngsten selbst ernannten Meisters ...

            In einer Gesellschaft, die mehr und mehr geprägt ist von der Begegnung verschiedener Kulturen und Religionen sowie von einer immer häufigeren geographischen Unbeständigkeit, ist die Fähigkeit, im spirituellen Suchen ein »verwurzelter Pilger« zu sein, eine Eigenschaft, die der Mönch zu entwickeln und die Welt zu lehren berufen ist.

Der Mönch – innerlich »eins«

            Thomas Merton hat einmal das monastische Leben als eine Therapie beschrieben und den echten Mönch als einen, der die endgültige Integration erreicht hat. Was ist damit gemeint?

            Ein integrierter Mensch hat nicht nur seine Grenzen akzeptiert und sei­ne Schattenseiten integriert, er wird auch nicht länger von der Kultur eingegrenzt, in der er aufgewachsen ist. Er hat das ganze Leben umarmt und angenommen: die normale menschliche Existenz, das intellektuelle Leben, die schöpferischen Kräfte, die menschliche Liebe, das religiöse Leben. Er akzeptiert seine Gemeinschaft, die Gesellschaft, in der er lebt, seine Freunde, seine Kultur, die gesamte Menschheit. Er bleibt nicht mehr gebunden an ein begrenztes System von Werten, so dass er es entweder aggressiv bekämpfen oder gegen andere verteidigen müsste. Er ist voll „katholisch“ im besten Sinn des Wortes. Er hat eine einheitliche Weltsicht und eine Erfahrung der einen Wahrheit, die aus all ihren vielfältigen Manifestationen hervorscheint. Er nimmt diese Teilansichten nicht als Gegensätze wahr, sondern kann sie in eine dialektische Einheit zusammenführen oder als einander ergänzend begreifen. Mit dieser Sicht kann er Perspektive, Freiheit und Spontaneität in das Leben anderer bringen. Der voll integrierte Mensch ist ein Friedensstifter.

            Wir können erst dann wirklich zu anderen in Beziehung treten, wenn wir wahrhaft wir selbst sind, wenn wir anders sind, wenn wir eine echte eigene Identität haben. Das Ziel des Mönchslebens ist diese Identität, diese völlige Integration. Übrigens ist die erste Bedeutung des Wortes monachos nicht »der allein lebende« sondern »der ein einziges Ziel hat, eine Ausrichtung, eine Liebe.« je mehr ein Mensch eins ist, innerlich geeint, desto mehr kann er in Beziehung treten zu Gott, desto mehr kann er auch in Beziehung zu allen anderen Menschen treten, wie auch immer ihre Vorstellungen, ihre religiösen Überzeugungen, ihre philosophischen Neigungen und ihre gesellschaftlichen Bestrebungen sein mögen.

Keiner kann als ein echter Pilger die Wege des Dialogs betreten, wenn er nicht wenigstens einen bestimmten Grad solcher Integration erreicht hat. Merton war ein solcher Mensch. Tief in der eigenen Tradition verwurzelt, konnte er wie durch Osmose die grundlegenden Wahrheiten anderer Lehren verstehen und eine tiefe Freundschaft mit Vertretern dieser Überlieferungen aufbauen. Es ist auch sehr wichtig wahrzunehmen, dass gerade die Zeit, in der er immer tiefer in solchen Dialog eintrat, auch die Zeit war, in der er sich mehr und mehr betroffen fühlte vom Schicksal der Unterdrückten und der Kriegsopfer.

           

Schlussfolgerungen

            Was ich hier zu beschreiben versuchte, sind nur einige Aspekte der Mönchsberufung, von denen ich glaube, dass sie heute von besonderer Bedeutung sind für die Kirche in einer säkularisierten Kultur. Es wäre vermessen zu behaupten, das sei eine Beschreibung dessen, was die Mönche heute tatsächlich sind. Nein, ich habe versucht, den Ruf und die Herausforderung der Zeit in Worte zu fassen. Der Mönch ist kein höheres Wesen. Er ist einfach ein Christ, mit demselben Ziel wie alle anderen Christen. Aber er ist von Gott gerufen, dieses Ziel auf besondere Weise zu verfolgen.

            Es gibt also grundsätzlich zwei Haltungen gegenüber unserer heutigen Situation: Die erste ist der Meinung, dass die Moderne ein Fehlschlag gewesen sei. Die Kirche habe recht gehabt, dass sie in der Vergangenheit nichts mit der modernen Welt tun haben wollte. Es sei bloße Zeitverschwendung, einen Dialog mit der Moderne anzubahnen, die ja sowieso schon vorbei ist. Ganz im Gegenteil, wir müssten ein Christentum aufzubauen suchen wie im Mittelalter, als die Kirche unmittelbar Macht über die gesamte Gesellschaft ausübte...

Die zweite Haltung dagegen glaubt, dass die Moderne eine Strömung sei, die nicht mehr umzukehren ist. Sie berge viele Elemente in sich, die echte Früchte des Evangeliums sind, bringe aber auch andere, negative Elemente mit sich, die sich größtenteils daraus entwickelt haben, dass diese Moderne entstand, ohne dass die Kirche in ihr präsent und wirksam war. Wir stünden also am Ende einer traurigen Periode der Moderne. Falls aber die Kirche zum Dialog mit ihr bereit sei und sich beteiligen wolle an ihrer positiven Ausgestaltung, dann bestehe die Möglichkeit, dass eine neue, schöpferische und verheißungsvolle Periode folgen werde.

An uns liegt es, die Perspektive zu wählen und uns entsprechend einzusetzen.